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Jüngel, Eberhard; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1985, 1. Abhandlung): Glauben und Verstehen: zum Theologiebegriff Rudolf Bultmanns; vorgetragen am 20. Okt. 1984 — Heidelberg: Winter, 1985

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https://doi.org/10.11588/diglit.47815#0071
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Glauben und Verstehen

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deshalb an den Willen des Erkennenden appellieren und von ihm ver-
langen kann, den Verstand zur Zwvü/??mM«g(assensio) zu bewegen. Stat
pro ratione voluntas!
Für die begriffliche Bestimmung des Glaubensaktes war damit aller-
dings die Schwierigkeit entstanden, daß man ihn anthropologisch
sowohl dem Erkenntnisvermögen als auch dem Willen zuordnen zu
müssen schien. Ist Glauben, wie Augustinus und die ihm folgende Tra-
dition sagen kann, ein „cum assensione cogitare“218, dann ist er als
Erkenntnisakt zugleich ein Willensakt. Man kann - wie Augustinus
sagt - nicht glauben, ohne zu wollen: „credere non potest nisi
uolens“219. Thomas von Aquin, der den augustinischen Satz zitiert,
hebt ausdrücklich hervor, daß im Falle des Glaubens der Verstand
eigens vom Willen bewegt werden muß, den Glaubenswahrheiten
zuzustimmen: „movetur enim intellectus ad assentiendum his quae
sunt fidei, ex imperio voluntatis“220. Denn als Erkenntnis eignet dem
Glauben eine imperfectio cognitionis221, die Glauben und Wissen als
eine Alternative erscheinen läßt, welche es ausschließt, daß derselbe
Erkenntnisgegenstand von ein und demselben Erkenntnissubjekt zu-
gleich geglaubt und gewußt werden kann: „... impossibile est quod ab
eodem idem sit scitum et creditum“222 . Das war konsequent und macht
gerade in seiner Konsequenz deutlich, wie sehr der Begriff des Glau-
bens, weil er erkenntnismetaphysisch konzipiert wurde, als defizienter
Modus des Erkennens und deshalb der Ergänzung durch einen Wil-
lensakt bedürftig aufgefaßt wurde, um als rechtfertigender Glaube gel-
ten zu können. Daß der theologischen Erkenntnis gleichwohl ein höhe-
rer Gewißheitsgrad als allen anderen Wissenschaften zugeschrieben
wird, ist nicht im Glaubensakt, sondern in seiner Erkenntnisquelle, dem
218 A. Augustinus, De praedestinatione sanctorum, 11,5; PL 44, 963.
219 A. Augustinus, Tractatus in evangelium lohannis, 26,2; CChr. SL 36, 260, 14.
220 Thomas von Aquin, S. th. Ia IIae, q. 56 a. 3 crp.
221 Thomas von Aquin, S. th. IIa IIae, q. 174 a. 2 ad 3: „... nomen fidei importat imperfec-
tionem cognitionis“.
222 Thomas von Aquin, S. th. IIa IIae, q. 1 a. 5 crp. Vgl. S. th. I, q. 12 a. 13 ad 3: „... fides
cognitio quaedam est, inquantum intellectus determinatur per fidem ad aliquod
cognoscibile. Sed haec determinatio ad unum non procedit ex visione credentis ...
Et sic, inquantum deest visio, deficit a ratione cognitionis quae est in scientia...“ Es
sei hier wenigstens anmerkungsweise darauf hingewiesen, daß diese Unterschei-
dung von Wissen und Glauben, der gemäß das Wissen als vollkommene Erkenntnis
die unvollkommenere Glaubenserkenntnis aufhebt, so lange einigermaßen - aber
wirklich nur einigermaßen - hingehen konnte, wie zwischen Wissensgegenständen
und Glaubensgegenständen widerspruchslose Harmonie zu herrschen schien. Doch
 
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