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Jüngel, Eberhard; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Editor]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1985, 1. Abhandlung): Glauben und Verstehen: zum Theologiebegriff Rudolf Bultmanns; vorgetragen am 20. Okt. 1984 — Heidelberg: Winter, 1985

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https://doi.org/10.11588/diglit.47815#0077
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Glauben und Verstehen

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tive von Theologie und Anthropologie wird durch die am Ereignis des
Wortes Gottes orientierte Kategorie des neuen Selbstverständnisses in
dem Sinne überwindbar, daß sie den ganzen Menschen als einen Gott
entsprechenden Menschen zu begreifen erlaubt.

ethische, die religiöse, ... Welt und Mensch als ganze zu verstehen und dem Men-
schen zu zeigen, wer oder was er eigentlich ist. Die Biologie will keineswegs nur den
Einzelmenschen in seinen körperlichen Funktionen erforschen, sondern den gan-
zen Menschen verstehen; sie will auch sein geschichtliches Leben, Familie und
Staat, Volk und Kultur biologisch verstehen. Sie nivelliert deshalb den Unterschied
zwischen Mensch und Tier und entdeckt auch im Tier Vorstufen menschlich-
geschichtlichen Lebens; sie treibt Tier-Psychologie und Soziologie; sie untersucht
die Intelligenz der Tiere etc. Die Psychoanalyse will sämtliche Phänomene des
menschlichen Lebens verstehen, auch die des religiösen Lebens; sie macht z.B. den
Gottesglauben aus dem Vater-Komplex verständlich“ (Theologische Enzyklopädie,
195f.). Doch gerade im Blick auf den Ganzheitsanspruch der jeweiligen wissen-
schaftlichen Betrachtungsweise hat die Theologie die Kontradiktionsfähigkeit ihres
Wissens zu bewähren, indem sie den anderen Wissenschaften die Fähigkeiten
bestreitet, aufgrund ihrer Prinzipien „von vornherein im ganzen bestimmen“ zu
können, „wie jedes begegnende Phänomen verstanden werden muß“. Denn
dadurch würden sie aus ihren „Forschungsmethoden“ Weltanschauungen machen
(aaO., 199), die verkennen, daß der „Streit, wie je ein Phänomen zu verstehen ist,
nur durch den Vollzug des Verstehens im einzelnen Fall ausgetragen“ wird (aaO.,
198). Die Wirklichkeit als ganze und die Ganzheit des Menschen kommen also nur
im Ereignis eines Verstehens, das sich zugleich als ein Sich-selbst-Verstehen vollzie-
hen muß, in den Blick. Sie ist Gegenstand des Wissens nicht im Sinne eines für das
Wissen, sondern im Sinne eines allererst mit dem Wissen gegebenen Gegenstandes.
Deshalb muß der Glaube „von jeder anderen Betrachtungsweise, die das gleiche
beansprucht“, behaupten, „daß sie falsch ist“ - oder aber er gibt seinen Wahr-
heitsanspruch, aufgrund der Offenbarung Gottes die Welt und den Menschen so
zu verstehen, „wie sie wirklich sind“ (aaO., 197), auf.
 
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