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Geyer, Dietrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1985, 2. Abhandlung): Klio in Moskau und die sowjetische Geschichte: vorgetragen am 27. Okt. 1984 — Heidelberg: Winter, 1985

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https://doi.org/10.11588/diglit.47816#0008
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Dietrich Geyer

Wer heute nach Rußland geht, wird Klio nicht leicht zu Gesicht
bekommen. Touristen begegnen ihr allenfalls in römischen Kopien -
auf den Kaminsimsen kaiserlicher Bibliotheken, in den Sommerresi-
denzen unweit des alten Petersburg, aus den Trümmern des letzten
Weltkriegs wieder auferstanden. Denkbar ist jedoch, daß es Klio heute
auch in anderer Fa^on zu sehen gibt, inkarniert womöglich in der Figur
jenes hochrangigen Herrn, der im Zentralkomitee der Kommunisti-
schen Partei der Sowjetunion die Angelegenheiten der Geschichtswis-
senschaften besorgt.3 Denkbar ist auch, daß die Muse mit der Schrift-
rolle bei jenen Historikerkollegen wacht, die, über Computer-Aus-
drucke gebeugt, an sündhaft teueren Maschinen eine sowjetische Ver-
sion der sogenannten Cliometrics vertreten. Diesen Kliometrikem
wird mitunter auch in Moskau angesonnen, daß in der Geschichte für
sie nur zähle, was sich zählen lasse, was in Dateien „einzuspeisen“ und
zu messen sei. Die elektronische Klio, so unentbehrlich sie ist, bleibt
eine seltsame Errungenschaft. Bei den historischen Demographen,
auch in der agrarhistorischen Forschung stehen die modernen quantifi-
zierenden Methoden begreiflicherweise hoch im Kurs, und dies nicht
allein in Moskau oder Leningrad. Auch in so angesehenen Forschungs-
stätten wie dem Institut für Geschichte der Estnischen Akademie der
Wissenschaften in Tallinn (Reval) arbeiten Experten von Ruf.4
Katharinas II. Bd. XII. Katharina im Urtheile der Weltliteratur. 1. Abt. Die Literatur
bis zu Katharinas Tode (1744-1796). Autorisierte Übers, aus dem Russ., Berlin
1897.
3 Leiter der „Abteilung für Wissenschaft und für die Lehranstalten“ (Otdel nauki i
ucebnych zavedenij) des Zentralkomitees der KPdSU war seit 1965 Sergej Pavlovic
Trapeznikov, Autor eines preisgekrönten Werkes über den Leninismus und die
Agrarfrage (Leninizm i agramo-krest’janskij vopros. 2. erg. Aufl. Bd. 1-2, Moskau
1974), sowie einer Reihe ideologisch wegweisender Schriften: Na krutych povoro-
tach istorii. 2. erg. Aufl. Moskau 1972, dt. Übers.: An jähen Wenden der Geschichte.
Lehren des Kampfes mit dem Revisionismus in der marxistisch-leninistischen
Bewegung, Berlin/DDR 1973; Obscestvennye nauki - moguscij idejnyj potential
kommunizma, Moskau 1974; Intellektual’nyj potential kommunizma, Moskau
1976. - 1976 wurde Trapeznikov zum Korrespondierenden Mitglied der Akademie
der Wissenschaften der UdSSR gewählt. Vgl. die Würdigung zum 70. Geburtstag
von L. F. Il’icev und I. I. Mine, in: Voprosy istorii 1982/1, S. 108-110, Unfreund-
liches über Trapeznikov berichtet A. M. Nekric, ein früherer Mitarbeiter am Mos-
kauer Akademieinstitut für Geschichte, in seinen Erinnerungen: Otresis’ ot stracha.
Vospominanija istorika, London 1979, S. 251 passim.
4 Orientierung über die Methodologie und den Anwendungsbereich der elektroni-
schen Datenverarbeitung in der sowjetischen historischen Forschung bietet der füh-
rende Moskauer Experte I. D. Koval’cenko: Primenenie kolicestvennych metodov i
 
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