Metadaten

Geyer, Dietrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1985, 2. Abhandlung): Klio in Moskau und die sowjetische Geschichte: vorgetragen am 27. Okt. 1984 — Heidelberg: Winter, 1985

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.47816#0007
Lizenz: Freier Zugang - alle Rechte vorbehalten
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Klio in Moskau

Man darf getrost unterstellen, daß die Heidelberger Akademie der
Wissenschaften, daß zumal ihre Philosophisch-historische Klasse,
dem Götterhimmel Griechenlands näher ist als dem Sternenhimmel
über dem Roten Platz. Das Thema „Klio in Moskau“ mag daher ein
wenig abgelegen erscheinen. Überdies bleibt fraglich, ob die Muse der
Geschichte tatsächlich je in Moskau war. Die Behauptung, daß dem so
sei, steht über diesem Beitrag vorerst ungeschützt. Gleichwohl ist der
Titel nicht gänzlich von der Hand zu weisen. Denn in Moskau wurde
Geschichte nicht bloß gemacht, sondern seit langem auch geschrieben.
Die frommen Mönche des 15. und 16. Jahrhunderts schrieben
Geschichte als Chronik des Moskauer Reiches. Sie sorgten für Tradi-
tion und Legitimität, und sie dienten ihren Herrschern mit Abstam-
mungslegenden, deren offenbarer Sinn es war, das großfürstliche, spä-
ter das zarische Haus mit den römischen Kaisern zu verbinden. Solches
rückläufige Bemühen war keine russische Besonderheit, sondern
gehörte auch anderswo zur Ratio der Genealogie. Eigentümlich war
den russischen Chronisten etwas anderes: Sie hielten nichts von grie-
chischer Mythologie, sie hielten sich an die Kirchenväter.1
Nach Rußland sind die Götter und Musen Griechenlands erst im
Lauf des achtzehnten Jahrhunderts gekommen. Dann freilich wurden
sie nur noch als allegorischer Zierat gebraucht, als Tafelaufsatz verwen-
det, als panegyrisches Material für Verseschmiede, Kupferstecher,
auch geistige Köpfe von Rang, die Katharina der Zweiten Kränze wan-
den: Katharina der Großen, der deutschen Prinzessin von Anhalt-
Zerbst, der weisesten Mutter des Vaterlandes, der gekrönten Tochter
des aufgeklärten Saeculums.2

1 Zur altrussischen Chronistik vgl. die Mitteilungen von Hartmut Rüß und Peter
Nitsche in: Handbuch der Geschichte Rußlands Bd. 1/1. Stuttgart 1979/80,
S. 207 ff., 535 ff, sowie Hans-Jürgen Grabmüller, Die russischen Chroniken des 11.
bis 18. Jahrhunderts im Spiegel der Sowjetforschung (1917-1975), in: Jahrbücher
für Geschichte Osteuropas 24. 1976, S. 394-416, 25. 1977, S. 66-90. - Gesamtaus-
gabe der russischen Chroniken: Polnoe sobranie russkich letopisej. Bd. 1-37,
Moskau 1962-1982.
2 Die zeitgenössische Panegyrik verzeichnet B. von Bilbassoff [Bilbasov], Geschichte
 
Annotationen
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften