Klio in Moskau
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Brüder“. Auch 1940, bei der Annexion der baltischen Republiken,
Bessarabiens und der Nordbukowina, tauchte die Wiedervereinigungs-
formel auf. Molotov sprach von der Rückgewinnung „vaterländischer“
Provinzen.20
Der zeitgeschichtliche Wurzelgrund, auf dem der Sowjetpatriotis-
mus gedieh, ist hier nicht weiter auszuleuchten. Auch die einzigartige
Aufgipfelung, die dieser Patriotismus zwischen 1941 und 1945 - im
Großen Vaterländischen Krieg - erfuhr, muß vorderhand beiseite blei-
ben.21 Wichtiger ist, im Blick zu behalten, daß sich die Vaterländische
Geschichte als Beiprodukt des gewöhnlichen Stalinismus entwickelt
hat: in enger Wechselbeziehung zu den sozialen und ökonomischen
Umwälzungen dieser Zeit, zur Ausbildung des terroristischen Herr-
schaftssystems und zur imperialen Machtentfaltung des Sowjetstaates
nach innen und nach außen hin. Was damals angelegt wurde, gewann,
wie sich zeigte, Kontinuität. Das Grundkonzept dessen, was die
„Geschichte der UdSSR“ noch heute trägt, weist auf die Ausgangslage
der dreißiger Jahre zurück. Auf die Verknüpfung der Geschichtslehre
mit der Großen Politik wird im folgenden stets zu achten sein.
Zunächst aber gilt es, sich der historischen Forschung selber zuzuwen-
den, den konzeptionellen Problemen dieser Forschung vor allem.
Dabei wird versucht, den aktuellen Diskussionsstand hervorzukehren,
gelegentlich aber auch auf die Etappen und Wendepunkte der For-
schungsgeschichte zurückzublenden.
Die Grundmuster der Vaterländischen Geschichte zu beschreiben,
war und ist nicht übermäßig schwierig. Komplizierter blieb es, den
Anspruch, der in den Begriffen steckt, in der Forschungspraxis und
zumal in der geschriebenen Geschichte einzulösen. Von vornherein
war klar, daß Vaterländische Geschichte, Geschichte der UdSSR, nicht
einfach russische Geschichte sein dürfe, weder Geschichte Rußlands,
noch Geschichte des russischen Volkes oder der russischen Nation.22
20 Belege für die sowjetische Argumentation bei Bianka Pietrow, Stalinismus - Sicher-
heit - Offensive. Das Dritte Reich in der Konzeption der sowjetischen Außenpolitik
1933-1941, Melsungen 1983, S. 134ff.
21 Vgl. Bernd Bonwetsch, Der „Große Vaterländische Krieg“, in: Handbuch der
Geschichte Rußlands, Bd. 3. Stuttgart 1984, S. 910-1008, sowie Hans-Heinrich
Nolte, „Drang nach Osten“. Sowjetische Geschichtsschreibung der deutschen
Ostexpansion, Köln, Frankfurt 1976.
22 Schon bei der Kritik an den ersten Lehrbuchentwürfen ist diese Forderung erhoben
worden, vgl. I. Stalin, A. Zdanov, S. Kirov, Bemerkungen zum Entwurf eines Lehr-
buchs der „Geschichte der UdSSR“ [1934], in: Pravda, 27.1.1936, zit. bei Oberlän-
der, Sowjetpatriotismus, S. 127f.
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Brüder“. Auch 1940, bei der Annexion der baltischen Republiken,
Bessarabiens und der Nordbukowina, tauchte die Wiedervereinigungs-
formel auf. Molotov sprach von der Rückgewinnung „vaterländischer“
Provinzen.20
Der zeitgeschichtliche Wurzelgrund, auf dem der Sowjetpatriotis-
mus gedieh, ist hier nicht weiter auszuleuchten. Auch die einzigartige
Aufgipfelung, die dieser Patriotismus zwischen 1941 und 1945 - im
Großen Vaterländischen Krieg - erfuhr, muß vorderhand beiseite blei-
ben.21 Wichtiger ist, im Blick zu behalten, daß sich die Vaterländische
Geschichte als Beiprodukt des gewöhnlichen Stalinismus entwickelt
hat: in enger Wechselbeziehung zu den sozialen und ökonomischen
Umwälzungen dieser Zeit, zur Ausbildung des terroristischen Herr-
schaftssystems und zur imperialen Machtentfaltung des Sowjetstaates
nach innen und nach außen hin. Was damals angelegt wurde, gewann,
wie sich zeigte, Kontinuität. Das Grundkonzept dessen, was die
„Geschichte der UdSSR“ noch heute trägt, weist auf die Ausgangslage
der dreißiger Jahre zurück. Auf die Verknüpfung der Geschichtslehre
mit der Großen Politik wird im folgenden stets zu achten sein.
Zunächst aber gilt es, sich der historischen Forschung selber zuzuwen-
den, den konzeptionellen Problemen dieser Forschung vor allem.
Dabei wird versucht, den aktuellen Diskussionsstand hervorzukehren,
gelegentlich aber auch auf die Etappen und Wendepunkte der For-
schungsgeschichte zurückzublenden.
Die Grundmuster der Vaterländischen Geschichte zu beschreiben,
war und ist nicht übermäßig schwierig. Komplizierter blieb es, den
Anspruch, der in den Begriffen steckt, in der Forschungspraxis und
zumal in der geschriebenen Geschichte einzulösen. Von vornherein
war klar, daß Vaterländische Geschichte, Geschichte der UdSSR, nicht
einfach russische Geschichte sein dürfe, weder Geschichte Rußlands,
noch Geschichte des russischen Volkes oder der russischen Nation.22
20 Belege für die sowjetische Argumentation bei Bianka Pietrow, Stalinismus - Sicher-
heit - Offensive. Das Dritte Reich in der Konzeption der sowjetischen Außenpolitik
1933-1941, Melsungen 1983, S. 134ff.
21 Vgl. Bernd Bonwetsch, Der „Große Vaterländische Krieg“, in: Handbuch der
Geschichte Rußlands, Bd. 3. Stuttgart 1984, S. 910-1008, sowie Hans-Heinrich
Nolte, „Drang nach Osten“. Sowjetische Geschichtsschreibung der deutschen
Ostexpansion, Köln, Frankfurt 1976.
22 Schon bei der Kritik an den ersten Lehrbuchentwürfen ist diese Forderung erhoben
worden, vgl. I. Stalin, A. Zdanov, S. Kirov, Bemerkungen zum Entwurf eines Lehr-
buchs der „Geschichte der UdSSR“ [1934], in: Pravda, 27.1.1936, zit. bei Oberlän-
der, Sowjetpatriotismus, S. 127f.