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Dietrich Geyer
aber auch andere Gedenktage ihren Tribut: der 80. Jahrestag der
„ersten Volksrevolution in Rußland“, der 100. Jahrestag des Marx-
sehen „Das Kapital“ Band 2, der 115. Geburtstag Vladimir Il’ic Lenins
und ähnliche denkwürdige Jubiläen mehr. Schon werfen die 1987
bevorstehenden Siebzigjahrfeiem der Großen Sozialistischen Oktober-
revolution ihre Schatten voraus.5;> Jedenfalls ist in der sowjetischen
historischen Forschung das Kalenderblatt eine starke Produktivkraft.
Bei alledem sei nicht verkannt, daß viele Probleme, von denen die
sowjetischen Historiker betroffen sind, ihren Kollegen jenseits der
Grenzen durchaus vertraut erscheinen mögen. Geschichte als Beruf
folgt offenbar überall allgemeineren, nicht leicht veränderbaren Maß-
stäben und Regeln. Demgemäß sind manche professionelle Kontrover-
sen auch in der Sowjetunion von langer Dauer und erneuern sich über
den Wechsel der Generationen hin.55 56 Gravamina und Forderungen,
die aus der Binnenwelt des Historikerstandes kommen, werden in „Kri-
tik und Selbstkritik“, mit der systemadäquaten Methode öffentlicher
Rechenschaft, immer wieder neu zur Sprache gebracht. Nicht an letzter
Stelle steht dabei das Verlangen, hohe Qualitätsmaßstäbe einzuhalten
und das Durchschnittsniveau der geschriebenen Geschichte verbessert
zu sehen. Der besorgte Blick auf den wissenschaftlichen Nachwuchs
erklärt sich daraus. Diese jungen, oft gar nicht mehr so jungen Leute,
haben, wo immer sie aufwachsen mögen, mit ihren Promotionen und
Habilitationen in umständlichen Verfahren das Nadelöhr einer Ober-
sten Attestationskommission (Vyssaja Attestacionnaja Kommissijd) zu
durchlaufen.57 Hier gibt es also, auf die Ebene der akademischen Quali-
fikationen und Grade versetzt, eine Art Zentralabitur.
55 In der Regel liegt den Jubiläumsfeiern ein eigens gefaßter Beschluß des Zentralko-
mitees der KPdSU zugrunde; letztes Beispiel: O 80-letii revoljucii 1905-1907 godov
v Rossii. Postanovlenie CK KPSS, in: Kommunist 1985/2, S. 3-6.
56 Für die sechziger Jahre vgl. die Darstellung von Kurt Marko (Anm. 5), S. 55 ff., sowie
meinen Aufsatz: Gegenwartsfragen der sowjetischen Geschichtswissenschaft, in:
Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte 15. 1967, S. 109-120.
57 Die „Oberste Attestationskommission“ wurde aufgrund einer gemeinsamen Ver-
ordnung des ZK der KPdSU und des Ministerrats der UdSSR vom 18.10.1974 einge-
setzt. Ihre Tätigkeit führte u.a. dazu, daß die Zahl der Habilitationen und Promotio-
nen, vor allem in einigen zentralasiatischen und kaukasischen Republiken, stark
zurückging. Vgl. zur Gründung der Kommission: K. V. Gusev, Vyssaja Attestacion-
naja Kommissija. Organizacija, zadaci, in: Istorija SSSR 1976/4, S. 98-103, dazu die
Auswertung der Erfahrungen fünfjähriger Kommissionsarbeit (1975-1979): K. V.
Gusev, V. Z. Drobizev u.a., O podgotovke kadrov vyssej kvalifikacii po otecestven-
noj istorii. Po materialam VAK SSSR, in: Istorija SSSR 1981/1, S. 121-126. - Soweit
Dietrich Geyer
aber auch andere Gedenktage ihren Tribut: der 80. Jahrestag der
„ersten Volksrevolution in Rußland“, der 100. Jahrestag des Marx-
sehen „Das Kapital“ Band 2, der 115. Geburtstag Vladimir Il’ic Lenins
und ähnliche denkwürdige Jubiläen mehr. Schon werfen die 1987
bevorstehenden Siebzigjahrfeiem der Großen Sozialistischen Oktober-
revolution ihre Schatten voraus.5;> Jedenfalls ist in der sowjetischen
historischen Forschung das Kalenderblatt eine starke Produktivkraft.
Bei alledem sei nicht verkannt, daß viele Probleme, von denen die
sowjetischen Historiker betroffen sind, ihren Kollegen jenseits der
Grenzen durchaus vertraut erscheinen mögen. Geschichte als Beruf
folgt offenbar überall allgemeineren, nicht leicht veränderbaren Maß-
stäben und Regeln. Demgemäß sind manche professionelle Kontrover-
sen auch in der Sowjetunion von langer Dauer und erneuern sich über
den Wechsel der Generationen hin.55 56 Gravamina und Forderungen,
die aus der Binnenwelt des Historikerstandes kommen, werden in „Kri-
tik und Selbstkritik“, mit der systemadäquaten Methode öffentlicher
Rechenschaft, immer wieder neu zur Sprache gebracht. Nicht an letzter
Stelle steht dabei das Verlangen, hohe Qualitätsmaßstäbe einzuhalten
und das Durchschnittsniveau der geschriebenen Geschichte verbessert
zu sehen. Der besorgte Blick auf den wissenschaftlichen Nachwuchs
erklärt sich daraus. Diese jungen, oft gar nicht mehr so jungen Leute,
haben, wo immer sie aufwachsen mögen, mit ihren Promotionen und
Habilitationen in umständlichen Verfahren das Nadelöhr einer Ober-
sten Attestationskommission (Vyssaja Attestacionnaja Kommissijd) zu
durchlaufen.57 Hier gibt es also, auf die Ebene der akademischen Quali-
fikationen und Grade versetzt, eine Art Zentralabitur.
55 In der Regel liegt den Jubiläumsfeiern ein eigens gefaßter Beschluß des Zentralko-
mitees der KPdSU zugrunde; letztes Beispiel: O 80-letii revoljucii 1905-1907 godov
v Rossii. Postanovlenie CK KPSS, in: Kommunist 1985/2, S. 3-6.
56 Für die sechziger Jahre vgl. die Darstellung von Kurt Marko (Anm. 5), S. 55 ff., sowie
meinen Aufsatz: Gegenwartsfragen der sowjetischen Geschichtswissenschaft, in:
Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte 15. 1967, S. 109-120.
57 Die „Oberste Attestationskommission“ wurde aufgrund einer gemeinsamen Ver-
ordnung des ZK der KPdSU und des Ministerrats der UdSSR vom 18.10.1974 einge-
setzt. Ihre Tätigkeit führte u.a. dazu, daß die Zahl der Habilitationen und Promotio-
nen, vor allem in einigen zentralasiatischen und kaukasischen Republiken, stark
zurückging. Vgl. zur Gründung der Kommission: K. V. Gusev, Vyssaja Attestacion-
naja Kommissija. Organizacija, zadaci, in: Istorija SSSR 1976/4, S. 98-103, dazu die
Auswertung der Erfahrungen fünfjähriger Kommissionsarbeit (1975-1979): K. V.
Gusev, V. Z. Drobizev u.a., O podgotovke kadrov vyssej kvalifikacii po otecestven-
noj istorii. Po materialam VAK SSSR, in: Istorija SSSR 1981/1, S. 121-126. - Soweit