Klio in Moskau
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die Denkmalsschutzgesellschaft veranstaltet hat, wurden in berühmten
Zentren altrussischer Kultur und Geschichte abgehalten: 1977 in Suz-
dal’ und 1982 in Novgorod.
Wie das Beispiel des Denkmalsschutzes verdeutlicht, stimmen der
offiziell verlangte und der tatsächlich praktizierte Patriotismus über
weite Strecken hin offensichtlich gut zusammen. Partei und Staat
bedienen sich der Tradition, um Loyalität und Solidarität zu stiften und
die Bereitschaft der Bürger frischzuhalten, dem Vaterland verfügbar zu
bleiben. Der Rückzug in die Einsamkeit und Freiheit privaten Daseins
soll den Patrioten nicht gestattet sein. Diesem Bestreben kommen
Interessen und Interessenten aus der lokalen Gesellschaft entgegen.
Sie klagen ihrerseits bei den Behörden den sorgsamen Umgang mit der
Überlieferung ein. Der Bewegungsspielraum, der hier für Initiativen
von unten entsteht, ist nicht von vornherein gering. Bei alledem ist zu
bedenken, daß der emphatische Rekurs aufs Überkommene nicht sel-
ten introvertierte Züge trägt. Auch zeigen sich Übersteigerungen, die
den Eindruck machen, als sei das historische Bewußtsein dabei, sich in
nationalistischen, mitunter auch chauvinistischen Schwingungen zu
verlieren. Kritische Beobachter haben an den Rändern des nationalrus-
sischen Konformismus sogar faschistische und antisemitische Unter-
strömungen registriert, auch Formen eines „zoologischen Nationalis-
mus“, der hier und dort gewissermaßen subkutan sich regt. Offenbar ist
der großrussisch-imperiale Nationalismus keine Sache, für die die offi-
zielle und die nichtöffentliche Welt in der UdSSR nicht gleichermaßen
empfänglich wären.101 Die etablierten Regeln verbieten, versteht sich,
alle Manifestationen nationalistischer Art. Aber sie scheinen dehnbar
und belastungsfähig zu sein. Die Übergänge ins Unzulässige, nicht
mehr Geduldete, sind fließend.
Verletzt werden diese Regeln von den sogenannten Dissidenten
diesseits und jenseits der Grenzen. Aber auch deren intellektueller
Diskurs lebt nicht aus sich selber. Vielmehr wird hier wie in einem
Spiegel eingefangen, was im Öffentlichen wie im Privaten bereits im
Schwange ist, ohne sich dort ausdrücklich gegen das Regime und die
giosität“ genommen werden müsse, damit ihr künstlerischer Wert in Erscheinung
komme. Die erwünschte Aufklärung und Erziehung soll durch Vortragsveranstal-
tungen in Zusammenarbeit mit der Volksbildungsgesellschaft „Znanie“ verbessert
werden.
101 Neben Dunlop, Faces, vgl. die polemisch überzogene Darstellung von Alexander
Yanov, The Russian New Right. Right-Wing Ideologies in the Contemporary USSR,
Berkeley 1978.
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die Denkmalsschutzgesellschaft veranstaltet hat, wurden in berühmten
Zentren altrussischer Kultur und Geschichte abgehalten: 1977 in Suz-
dal’ und 1982 in Novgorod.
Wie das Beispiel des Denkmalsschutzes verdeutlicht, stimmen der
offiziell verlangte und der tatsächlich praktizierte Patriotismus über
weite Strecken hin offensichtlich gut zusammen. Partei und Staat
bedienen sich der Tradition, um Loyalität und Solidarität zu stiften und
die Bereitschaft der Bürger frischzuhalten, dem Vaterland verfügbar zu
bleiben. Der Rückzug in die Einsamkeit und Freiheit privaten Daseins
soll den Patrioten nicht gestattet sein. Diesem Bestreben kommen
Interessen und Interessenten aus der lokalen Gesellschaft entgegen.
Sie klagen ihrerseits bei den Behörden den sorgsamen Umgang mit der
Überlieferung ein. Der Bewegungsspielraum, der hier für Initiativen
von unten entsteht, ist nicht von vornherein gering. Bei alledem ist zu
bedenken, daß der emphatische Rekurs aufs Überkommene nicht sel-
ten introvertierte Züge trägt. Auch zeigen sich Übersteigerungen, die
den Eindruck machen, als sei das historische Bewußtsein dabei, sich in
nationalistischen, mitunter auch chauvinistischen Schwingungen zu
verlieren. Kritische Beobachter haben an den Rändern des nationalrus-
sischen Konformismus sogar faschistische und antisemitische Unter-
strömungen registriert, auch Formen eines „zoologischen Nationalis-
mus“, der hier und dort gewissermaßen subkutan sich regt. Offenbar ist
der großrussisch-imperiale Nationalismus keine Sache, für die die offi-
zielle und die nichtöffentliche Welt in der UdSSR nicht gleichermaßen
empfänglich wären.101 Die etablierten Regeln verbieten, versteht sich,
alle Manifestationen nationalistischer Art. Aber sie scheinen dehnbar
und belastungsfähig zu sein. Die Übergänge ins Unzulässige, nicht
mehr Geduldete, sind fließend.
Verletzt werden diese Regeln von den sogenannten Dissidenten
diesseits und jenseits der Grenzen. Aber auch deren intellektueller
Diskurs lebt nicht aus sich selber. Vielmehr wird hier wie in einem
Spiegel eingefangen, was im Öffentlichen wie im Privaten bereits im
Schwange ist, ohne sich dort ausdrücklich gegen das Regime und die
giosität“ genommen werden müsse, damit ihr künstlerischer Wert in Erscheinung
komme. Die erwünschte Aufklärung und Erziehung soll durch Vortragsveranstal-
tungen in Zusammenarbeit mit der Volksbildungsgesellschaft „Znanie“ verbessert
werden.
101 Neben Dunlop, Faces, vgl. die polemisch überzogene Darstellung von Alexander
Yanov, The Russian New Right. Right-Wing Ideologies in the Contemporary USSR,
Berkeley 1978.