Eine wiederentdeckte „Verkündigung Mariä‘
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um eine Generation jüngere Matteo di Giovanni hatten sich in den
Jahren 1461-63 mit dem für südtoskanische Verhältnisse ungewohn-
ten Typus auseinanderzusetzen. Wie schwierig das für Giovanni di
Paolo gewesen sein muß, beweist die Figurendisposition der 1463
datierten Haupttafel in Pienza. Die Zusammenordnung der thronen-
den Madonna mit Kind, adorierenden Engeln und vier Heiligen bleibt
weit entfernt von der durch die Bildarchitektur rhythmisierten und
zugleich gelassen anmutenden Gruppierung florentinischer „Sacre
conversazioni“ (man denke an Fra Angelicos „Pala di San Marco“, um
1440, sowie an Fra Filippo Lippis „Madonna mit Heiligen“ und Dome-
nico Venezianos „Pala di S. Lucia“, beide aus den vierziger Jahren des
fünfzehnten Jahrhunderts und beide heute in den Uffizien). Eher läßt
sie, trotz gewisser szenischer Momente, an die hieratische, raumarme
Konfiguration früherer Maestä-Darstellungen denken. Schon der die
heilige Versammlung hinterfangene Goldgrund sorgt für eine Relati-
vierung der räumlich-körperlichen Werte, gegen die das ungeschickt
verkürzte Fliesenmuster des Bodens optisch nichts auszurichten ver-
mag. Wie sehr Giovanni noch in den Kategorien des Polyptychons
denkt, belegt der Umstand, daß die rechts stehende hl. Sabina wörtlich
die weibliche Heilige der Ancona von 1454 im New Yorker Metropoli-
tan Museum wiederholt und zugleich deren strukturelle Eingebun-
denheit vermissen läßt.
Auch das bereits kommentierte späte Retabel mit der Maestä-
Komposition in der Sieneser Pinakothek36 läßt sich - unbeschadet der
Unklarheiten hinsichtlich der ursprünglichen Bekrönungsform und
des möglichen Werkstattanteils - als Resultat der seit etwa 1460 in
Siena gegebenen Situation verstehen; im Vergleich mit dem Altar in
Pienza wirkt es allerdings noch weit hilfloser gegenüber dem von
Florenz ausgehenden Innovationsangebot. Die Verkündigungsszene
in den Zwickeln ist wirklich die einzige Partie, die mit der starren
Zeichnung und dem phantasielosen Kolorit des Altars einigermaßen
zu versöhnen vermag.
Ich kehre zur Ausgangsfragestellung zurück, indem ich drei auf
dem Erläuterten aufbauende Behauptungen aufstelle:
1. Die Heidelberger Verkündigungstafeln sind eigenhändige Werke
des Giovanni di Paolo;
2. die Tafeln gehörten ursprünglich zur Bekrönung eines Polypty-
chons jenes Typs, der bis etwa 1460 in Siena dominierte;
36
VgL Anm. 6.
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um eine Generation jüngere Matteo di Giovanni hatten sich in den
Jahren 1461-63 mit dem für südtoskanische Verhältnisse ungewohn-
ten Typus auseinanderzusetzen. Wie schwierig das für Giovanni di
Paolo gewesen sein muß, beweist die Figurendisposition der 1463
datierten Haupttafel in Pienza. Die Zusammenordnung der thronen-
den Madonna mit Kind, adorierenden Engeln und vier Heiligen bleibt
weit entfernt von der durch die Bildarchitektur rhythmisierten und
zugleich gelassen anmutenden Gruppierung florentinischer „Sacre
conversazioni“ (man denke an Fra Angelicos „Pala di San Marco“, um
1440, sowie an Fra Filippo Lippis „Madonna mit Heiligen“ und Dome-
nico Venezianos „Pala di S. Lucia“, beide aus den vierziger Jahren des
fünfzehnten Jahrhunderts und beide heute in den Uffizien). Eher läßt
sie, trotz gewisser szenischer Momente, an die hieratische, raumarme
Konfiguration früherer Maestä-Darstellungen denken. Schon der die
heilige Versammlung hinterfangene Goldgrund sorgt für eine Relati-
vierung der räumlich-körperlichen Werte, gegen die das ungeschickt
verkürzte Fliesenmuster des Bodens optisch nichts auszurichten ver-
mag. Wie sehr Giovanni noch in den Kategorien des Polyptychons
denkt, belegt der Umstand, daß die rechts stehende hl. Sabina wörtlich
die weibliche Heilige der Ancona von 1454 im New Yorker Metropoli-
tan Museum wiederholt und zugleich deren strukturelle Eingebun-
denheit vermissen läßt.
Auch das bereits kommentierte späte Retabel mit der Maestä-
Komposition in der Sieneser Pinakothek36 läßt sich - unbeschadet der
Unklarheiten hinsichtlich der ursprünglichen Bekrönungsform und
des möglichen Werkstattanteils - als Resultat der seit etwa 1460 in
Siena gegebenen Situation verstehen; im Vergleich mit dem Altar in
Pienza wirkt es allerdings noch weit hilfloser gegenüber dem von
Florenz ausgehenden Innovationsangebot. Die Verkündigungsszene
in den Zwickeln ist wirklich die einzige Partie, die mit der starren
Zeichnung und dem phantasielosen Kolorit des Altars einigermaßen
zu versöhnen vermag.
Ich kehre zur Ausgangsfragestellung zurück, indem ich drei auf
dem Erläuterten aufbauende Behauptungen aufstelle:
1. Die Heidelberger Verkündigungstafeln sind eigenhändige Werke
des Giovanni di Paolo;
2. die Tafeln gehörten ursprünglich zur Bekrönung eines Polypty-
chons jenes Typs, der bis etwa 1460 in Siena dominierte;
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VgL Anm. 6.