Eine wiederentdeckte „Verkündigung Mariä*
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Polyptychon und der Retabeltorso in Castiglion Fiorentino bezie-
hungsweise Bagnoregio scheiden aus Dimensionsgründen aus den
Überlegungen aus, weil die Basis für Bekrönungsbilder über den seit-
lichen Tafeln höchstens 30 cm beträgt48. Über den mit jeweils zwei
Heiligengestalten besetzten seitlichen Kompartimenten des Polypty-
chons Nr. 191 in der Sieneser Pinakothek49 - also dort, wo sich lange
Zeit die beiden nicht zugehörigen Halblünetten mit der Kommunion
der hl. Maria Magdalena und der Stigmatisation des hl. Franziskus
befanden - hätten theoretisch die beiden Verkündigungstafeln Platz;
freilich ist die Basis mit jeweils annähernd 60 cm überbreit; zudem ist
die Zuordnung zu den Maßwerkbogenpaaren der Seitentafeln einer-
seits und dem Vorhangbogen über der mittleren Christustafel anderer-
seits ästhetisch kaum diskutabel. Schon aus stilistischen Gründen
kommen die „Pala di Staggia“, deren flankierende „cuspidi“ unter 30
cm breit gewesen sein müssen, und das Galganus-Retabel, dessen
Tafeln sich oben ebenfalls auf weniger als 30 cm beziehungsweise 36
cm zusammenziehen, als Referenzstücke nicht in Betracht50.
Bliebe das Nikolaus-Retabel in der Sieneser Pinakothek (Nr. 173)51,
dessen Bekrönungen ebenso fehlen wie die Predella und die Seiten-
pfeiler. Die Christustafel Nr. 208 war gewiß kein Bestandteil des
48 Vgl. Anm. 10 und Anm. 11. Die Wimpergspitzen der Bilder in Castiglion Fioren-
tino sind offensichtlich Zutaten (wohl des neunzehnten Jahrhunderts). Das Reta-
oel hatte ursprünglich sicherlich Bekrönungen, doch habe ich als Breite des
oberen Horizontalschnittes bei der Katharinentafel ca. 29 cm, bei der Madonnen-
tafel ca. 35 cm gemessen; die Aufsätze müssen diesen Dimensionen entsprochen
haben.
49 Vgl. Anm. 8.
50 Vgl. Piero Torriti, a.a.O., S. 338ff. und S. 332ff.
51 Vgl. Anm. 9.- Die meines Erachtens treffendste Charakterisierung des Nikolaus-
Altars findet sich bei Evelyn Sandberg-Vavalä, a.a.O., S. 295: “The polyptych of St.
Nicholas of Bari with accompanying Saints... shows Giovanni still in full vigour. If
the central figure is somewhat formal and heavy in all its sartorial richness and
splendour, the laterals are as excellent as any single figures in the master’s poly-
ptychs, the two monastics on the left intense and highly serious portrayals, St.
Claire graceful and suave, St. Louis of Toulouse a figure of such a whimsical
delicacy that it again recalls Sassetta, though it is in essence a very individual
expression of Giovanni’s own peculiar mysticism and his curious but profound
humanity. The hand in which the Saint supports his book would be enough in itself
to assure his autorship if that were in question. The simple arrangement of the five-
figure polyptych invites to a comparison with Sano in his many examples of this
Standard theme. What an utter contrast of spiritual altitude! What a sense of refine-
ment which lacks in Sano, and what a marked personal stamp on every face, hand
and gesture!“
Abb. 14
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Polyptychon und der Retabeltorso in Castiglion Fiorentino bezie-
hungsweise Bagnoregio scheiden aus Dimensionsgründen aus den
Überlegungen aus, weil die Basis für Bekrönungsbilder über den seit-
lichen Tafeln höchstens 30 cm beträgt48. Über den mit jeweils zwei
Heiligengestalten besetzten seitlichen Kompartimenten des Polypty-
chons Nr. 191 in der Sieneser Pinakothek49 - also dort, wo sich lange
Zeit die beiden nicht zugehörigen Halblünetten mit der Kommunion
der hl. Maria Magdalena und der Stigmatisation des hl. Franziskus
befanden - hätten theoretisch die beiden Verkündigungstafeln Platz;
freilich ist die Basis mit jeweils annähernd 60 cm überbreit; zudem ist
die Zuordnung zu den Maßwerkbogenpaaren der Seitentafeln einer-
seits und dem Vorhangbogen über der mittleren Christustafel anderer-
seits ästhetisch kaum diskutabel. Schon aus stilistischen Gründen
kommen die „Pala di Staggia“, deren flankierende „cuspidi“ unter 30
cm breit gewesen sein müssen, und das Galganus-Retabel, dessen
Tafeln sich oben ebenfalls auf weniger als 30 cm beziehungsweise 36
cm zusammenziehen, als Referenzstücke nicht in Betracht50.
Bliebe das Nikolaus-Retabel in der Sieneser Pinakothek (Nr. 173)51,
dessen Bekrönungen ebenso fehlen wie die Predella und die Seiten-
pfeiler. Die Christustafel Nr. 208 war gewiß kein Bestandteil des
48 Vgl. Anm. 10 und Anm. 11. Die Wimpergspitzen der Bilder in Castiglion Fioren-
tino sind offensichtlich Zutaten (wohl des neunzehnten Jahrhunderts). Das Reta-
oel hatte ursprünglich sicherlich Bekrönungen, doch habe ich als Breite des
oberen Horizontalschnittes bei der Katharinentafel ca. 29 cm, bei der Madonnen-
tafel ca. 35 cm gemessen; die Aufsätze müssen diesen Dimensionen entsprochen
haben.
49 Vgl. Anm. 8.
50 Vgl. Piero Torriti, a.a.O., S. 338ff. und S. 332ff.
51 Vgl. Anm. 9.- Die meines Erachtens treffendste Charakterisierung des Nikolaus-
Altars findet sich bei Evelyn Sandberg-Vavalä, a.a.O., S. 295: “The polyptych of St.
Nicholas of Bari with accompanying Saints... shows Giovanni still in full vigour. If
the central figure is somewhat formal and heavy in all its sartorial richness and
splendour, the laterals are as excellent as any single figures in the master’s poly-
ptychs, the two monastics on the left intense and highly serious portrayals, St.
Claire graceful and suave, St. Louis of Toulouse a figure of such a whimsical
delicacy that it again recalls Sassetta, though it is in essence a very individual
expression of Giovanni’s own peculiar mysticism and his curious but profound
humanity. The hand in which the Saint supports his book would be enough in itself
to assure his autorship if that were in question. The simple arrangement of the five-
figure polyptych invites to a comparison with Sano in his many examples of this
Standard theme. What an utter contrast of spiritual altitude! What a sense of refine-
ment which lacks in Sano, and what a marked personal stamp on every face, hand
and gesture!“
Abb. 14