32
Peter Anselm Riedl
Ikonographisch bedarf das Nikolaus-Retabel jedenfalls in der oberen
Zone der Ergänzung durch ein mittleres Christusbild und seitliche
Darstellungen des Verkündigungsengels und der Verkündigungs-
maria. Auch wenn das Zentrum des Altars von der Figur des heiligen
Bischofs und Nothelfers Nikolaus beherrscht wird, fehlt nicht die
mariologische Komponente: Auf der Stola des Heiligen findet sich
Abb. 19 eine schöne Darstellung der Anbetung des Kindes, mit der eine Dar-
stellung des thronenden Christus in der Seraphimglorie auf der
Mantelschließe korrespondiert. Die in der Mittelachse angeordnete
Anbetungsszene verlangt förmlich nach einer Entsprechung in Gestalt
der Verkündigung. Ob man als mittlere Bekrönung einen ganzfiguri-
gen Christus in Gestalt des segnenden Erlösers anzunehmen hat oder
(angesichts des Umstands, daß ein solcher Christus, wenn auch sehr
klein, bereits auf der Mantelschließe erscheint) einen Schmerzens-
mann, muß offenbleiben. Die Präsenz der Heiligen Paulus und Hiero-
nymus in den Tondi über den seitlichen Maßwerkarkaden vermag ich
ebensowenig zu deuten, wie ich etwas über die Predella und die
Flankenpfeiler aussagen kann.
würden, wie das bei so vielen spätgotischen Sieneser Altären der Fall ist. Aller-
dings konnte ich am Nikolaus-Retabel keine Spuren solcher Zierelemente beobach-
ten. - Was die Gesamtstruktur angeht, läßt sich als Analogie zu meinem Vorschlag
das Polyptychon aus S. Biagio in Scrofiano von Sano di Pietro nennen. Dieses voll-
ständig erhaltene, 1449 datierte Werk (bei dem die Predella sich, von zwei Flanken-
bildern unter den Seitenpfeilern abgesehen, aus fünf querrechteckigen Täfelchen
gruppiert, dessen mittleres etwas breiter ist als die seitlichen) befindet sich heute in
der Sieneser Pinakothek; vgl. Piero Torriti, a.a.O., S. 266f. - Das um 1475/80 anzu-
setzende, Giovanni di Paolo und seiner Werkstatt zugeschriebene Polyptychon in
der Walters Art Gallery in Baltimore, dessen Predella verloren ist, kann man
strukturell als vereinfachte Variante des Typs auffassen; vgl. Federico Zeri: Italian
Paintings in the Walters Art Gallery, Band I, Baltimore 1976, S. 121 f. und Tafel 62.
Als Beispiele für besonders steil sich türmende Retabel seien genannt: das
1444 datierte „Polittico dei Gesuati“ (auch „Polittico del Beato Colombini“) von
Sano di Pietro in der Sieneser Pinakothek (vgl. Piero Torriti, a.a.O., S. 254ff.); das
angeblich aus S. Bonda stammende Polyptychon vom selben Meister, ebenfalls in
der Sieneser Pinakothek (vgl. Piero Torriti, a.a.O., S. 269; auffallend in beiden
Fällen die hochragende mittlere Tafel mit der thronenden Figur des segnenden
Erlösers); das 1451 entstandene Polyptychon von Taddeo di Bartolo in der Pinako-
thek von Volterra. Auf Sassettas „Exsequien für den hl. Franziskus“ in der National
Gallery in London ist auf dem Altar ein Retabel mit drei hohen, monstranzartigen
Aufsätzen zu sehen, dessen mittlerer den segnenden Erlöser und dessen seitliche
den Engel und die Maria der Verkündigung zeigen.
Man könnte versucht sein, die Heidelberger Verkündigungstafeln mit jener
Tafel in der Sieneser Pinakothek in Verbindung zu bringen, die einen knienden
Peter Anselm Riedl
Ikonographisch bedarf das Nikolaus-Retabel jedenfalls in der oberen
Zone der Ergänzung durch ein mittleres Christusbild und seitliche
Darstellungen des Verkündigungsengels und der Verkündigungs-
maria. Auch wenn das Zentrum des Altars von der Figur des heiligen
Bischofs und Nothelfers Nikolaus beherrscht wird, fehlt nicht die
mariologische Komponente: Auf der Stola des Heiligen findet sich
Abb. 19 eine schöne Darstellung der Anbetung des Kindes, mit der eine Dar-
stellung des thronenden Christus in der Seraphimglorie auf der
Mantelschließe korrespondiert. Die in der Mittelachse angeordnete
Anbetungsszene verlangt förmlich nach einer Entsprechung in Gestalt
der Verkündigung. Ob man als mittlere Bekrönung einen ganzfiguri-
gen Christus in Gestalt des segnenden Erlösers anzunehmen hat oder
(angesichts des Umstands, daß ein solcher Christus, wenn auch sehr
klein, bereits auf der Mantelschließe erscheint) einen Schmerzens-
mann, muß offenbleiben. Die Präsenz der Heiligen Paulus und Hiero-
nymus in den Tondi über den seitlichen Maßwerkarkaden vermag ich
ebensowenig zu deuten, wie ich etwas über die Predella und die
Flankenpfeiler aussagen kann.
würden, wie das bei so vielen spätgotischen Sieneser Altären der Fall ist. Aller-
dings konnte ich am Nikolaus-Retabel keine Spuren solcher Zierelemente beobach-
ten. - Was die Gesamtstruktur angeht, läßt sich als Analogie zu meinem Vorschlag
das Polyptychon aus S. Biagio in Scrofiano von Sano di Pietro nennen. Dieses voll-
ständig erhaltene, 1449 datierte Werk (bei dem die Predella sich, von zwei Flanken-
bildern unter den Seitenpfeilern abgesehen, aus fünf querrechteckigen Täfelchen
gruppiert, dessen mittleres etwas breiter ist als die seitlichen) befindet sich heute in
der Sieneser Pinakothek; vgl. Piero Torriti, a.a.O., S. 266f. - Das um 1475/80 anzu-
setzende, Giovanni di Paolo und seiner Werkstatt zugeschriebene Polyptychon in
der Walters Art Gallery in Baltimore, dessen Predella verloren ist, kann man
strukturell als vereinfachte Variante des Typs auffassen; vgl. Federico Zeri: Italian
Paintings in the Walters Art Gallery, Band I, Baltimore 1976, S. 121 f. und Tafel 62.
Als Beispiele für besonders steil sich türmende Retabel seien genannt: das
1444 datierte „Polittico dei Gesuati“ (auch „Polittico del Beato Colombini“) von
Sano di Pietro in der Sieneser Pinakothek (vgl. Piero Torriti, a.a.O., S. 254ff.); das
angeblich aus S. Bonda stammende Polyptychon vom selben Meister, ebenfalls in
der Sieneser Pinakothek (vgl. Piero Torriti, a.a.O., S. 269; auffallend in beiden
Fällen die hochragende mittlere Tafel mit der thronenden Figur des segnenden
Erlösers); das 1451 entstandene Polyptychon von Taddeo di Bartolo in der Pinako-
thek von Volterra. Auf Sassettas „Exsequien für den hl. Franziskus“ in der National
Gallery in London ist auf dem Altar ein Retabel mit drei hohen, monstranzartigen
Aufsätzen zu sehen, dessen mittlerer den segnenden Erlöser und dessen seitliche
den Engel und die Maria der Verkündigung zeigen.
Man könnte versucht sein, die Heidelberger Verkündigungstafeln mit jener
Tafel in der Sieneser Pinakothek in Verbindung zu bringen, die einen knienden