Die Entstehung der historischen Biographie
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Wie wichtig dieser ganze Vorstellungskomplex in der rhetorischen Schultradition
gewesen sein muß, lehrt eine Äußerung des Rhetors Menander (p. 331 Sp., dazu die
Erläuterung von D. A. Russell u. N. G. Wilson im Kommentar z. St., Oxford 1981).
Er sagt, daß man das ganze γένος έπιδεικτικόν der Redekunst - in dessen Rahmen
bekanntlich auch die Geschichtsschreibung der Redekunst zuzurechnen ist - als
γένος έγκωμιαστικόν bezeichnen könne. Quintilian (3,4,13 f.) wendet sich übrigens
gegen diese Gleichsetzung. Polybios’ Meinung über den Nutzen biographischer
Exkurse, die er am Anfang des Kapitels 10,21 zum Ausdruck bringt, gehört also
jedenfalls in den Zusammenhang rhetorischer Theorie, vielleicht sogar rhetorischer
Theorie der Geschichtsschreibung.
Nun gibt es Berücksichtigung biographischen Materials und biographische
Exkurse in der Historiographie lange vor Polybios, vor der Einbeziehung der
Geschichtsschreibung in die rhetorische Theorie oder Praxis und ganz unabhängig
von einer enkomiastischen oder erbaulichen Zielsetzung. Polybios selbst kommt
einer entsprechenden historiographischen Tradition nicht selten nach (z. B. 5,39,6;
26, 1,1).
Geschichtliche Ereignisse vornehmlich als Taten hervorragender Männer zu
verstehen und darum ihre Lebensumstände historiographisch zu erörtern, war im
ganzen Alten Orient weit verbreitet, wie u. a. das Alte Testament lehren kann. In
der frühen, klassischen Geschichtsschreibung der Griechen, also bei Herodot und
vor allem Thukydides, trat dieser Zug jedoch zurück, weil hier übergreifende
Gesetzmäßigkeiten des Geschehens im Vordergrund des Interesses standen.
Momigliano hat richtig gesehen, daß biographische Schwerpunkte in der älteren
Geschichtsschreibung, vor allem bei Herodot, vornehmlich anläßlich von Berich-
ten über Ereignisse im Osten gesetzt wurden. Seit dem 4. Jh. v. C. jedoch setzte sich
die personenbezogene Betrachtung der Geschichte unter dem Eindruck der Rollen
Philipps II, Alexanders und der hellenistischen Herrscher zunehmend durch, so
daß man nunmehr in der griechischen Historiographie immer wieder eine Sicht-
weise entdecken kann, wie sie zuvor im Alten Orient üblich gewesen war. Daß sich
Geschichtsschreibung primär auf Personen und ihr unwiederholbares Tun bezieht,
scheint für Aristoteles selbstverständlich zu sein (τί Αλκιβιάδης έπραξεν ή τί έπαθεν
Poet. 1451 b 11), und es gilt gerade auch für Polybios (z. B. 2,40).
Trotzdem blieb der Gegensatz zwischen Biographie und Historiographie be-
stehen. Diese greift auf biographisches Material zurück, um der Darstellung, ins-
besondere der kausalen Verknüpfung denkwürdiger Ereignisse besser gerecht zu
werden (Cic. de or. 2, 63 f.). Die Biographie bezieht umgekehrt historische Ereig-
nisse nur in dem Umfang in die Darstellung ein, als sie Aufschluß über Taten und
Leiden des Helden und damit über sein Wesen versprechen (Plut. Galb. 2). Bio-
graphisches Interesse konnte unter dieser Voraussetzung in der Geschichtsschrei-
bung Ausdruck finden, die Biographie aber nicht Form der Geschichtsschreibung
werden. Im Grundsatz, daß es die Taten und Ereignisse sind, die den Stoff der
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Wie wichtig dieser ganze Vorstellungskomplex in der rhetorischen Schultradition
gewesen sein muß, lehrt eine Äußerung des Rhetors Menander (p. 331 Sp., dazu die
Erläuterung von D. A. Russell u. N. G. Wilson im Kommentar z. St., Oxford 1981).
Er sagt, daß man das ganze γένος έπιδεικτικόν der Redekunst - in dessen Rahmen
bekanntlich auch die Geschichtsschreibung der Redekunst zuzurechnen ist - als
γένος έγκωμιαστικόν bezeichnen könne. Quintilian (3,4,13 f.) wendet sich übrigens
gegen diese Gleichsetzung. Polybios’ Meinung über den Nutzen biographischer
Exkurse, die er am Anfang des Kapitels 10,21 zum Ausdruck bringt, gehört also
jedenfalls in den Zusammenhang rhetorischer Theorie, vielleicht sogar rhetorischer
Theorie der Geschichtsschreibung.
Nun gibt es Berücksichtigung biographischen Materials und biographische
Exkurse in der Historiographie lange vor Polybios, vor der Einbeziehung der
Geschichtsschreibung in die rhetorische Theorie oder Praxis und ganz unabhängig
von einer enkomiastischen oder erbaulichen Zielsetzung. Polybios selbst kommt
einer entsprechenden historiographischen Tradition nicht selten nach (z. B. 5,39,6;
26, 1,1).
Geschichtliche Ereignisse vornehmlich als Taten hervorragender Männer zu
verstehen und darum ihre Lebensumstände historiographisch zu erörtern, war im
ganzen Alten Orient weit verbreitet, wie u. a. das Alte Testament lehren kann. In
der frühen, klassischen Geschichtsschreibung der Griechen, also bei Herodot und
vor allem Thukydides, trat dieser Zug jedoch zurück, weil hier übergreifende
Gesetzmäßigkeiten des Geschehens im Vordergrund des Interesses standen.
Momigliano hat richtig gesehen, daß biographische Schwerpunkte in der älteren
Geschichtsschreibung, vor allem bei Herodot, vornehmlich anläßlich von Berich-
ten über Ereignisse im Osten gesetzt wurden. Seit dem 4. Jh. v. C. jedoch setzte sich
die personenbezogene Betrachtung der Geschichte unter dem Eindruck der Rollen
Philipps II, Alexanders und der hellenistischen Herrscher zunehmend durch, so
daß man nunmehr in der griechischen Historiographie immer wieder eine Sicht-
weise entdecken kann, wie sie zuvor im Alten Orient üblich gewesen war. Daß sich
Geschichtsschreibung primär auf Personen und ihr unwiederholbares Tun bezieht,
scheint für Aristoteles selbstverständlich zu sein (τί Αλκιβιάδης έπραξεν ή τί έπαθεν
Poet. 1451 b 11), und es gilt gerade auch für Polybios (z. B. 2,40).
Trotzdem blieb der Gegensatz zwischen Biographie und Historiographie be-
stehen. Diese greift auf biographisches Material zurück, um der Darstellung, ins-
besondere der kausalen Verknüpfung denkwürdiger Ereignisse besser gerecht zu
werden (Cic. de or. 2, 63 f.). Die Biographie bezieht umgekehrt historische Ereig-
nisse nur in dem Umfang in die Darstellung ein, als sie Aufschluß über Taten und
Leiden des Helden und damit über sein Wesen versprechen (Plut. Galb. 2). Bio-
graphisches Interesse konnte unter dieser Voraussetzung in der Geschichtsschrei-
bung Ausdruck finden, die Biographie aber nicht Form der Geschichtsschreibung
werden. Im Grundsatz, daß es die Taten und Ereignisse sind, die den Stoff der