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Dihle, Albrecht; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1986, 3. Abhandlung): Die Entstehung der historischen Biographie: vorgetragen am 26. Apr. 1986 — Heidelberg: Winter, 1987

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https://doi.org/10.11588/diglit.48146#0015
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Die Entstehung der historischen Biographie

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die Anabasis als Geschichtswerk und spricht mit keinem Wort von Alexanders
Jugend. Die aber hätte weder in einem Enkomion noch in einer Biographie fehlen
dürfen.
Daß zum έγκώμιον die αυξησις, zum ψόγος die ταπείνωσις gehöre, ist von
Anfang an durchgehende Lehre der Rhetorik (z. B. Anaxim. rhet. 1426 a 20ff).
Wenn nun Polybios hier am Ende der theoretischen Erörterung dieses Verfahren
für seine Monographie über Philopoimen reklamiert, es für das Geschichtswerk
aber ablehnt, ergibt sich eine gewisse Schwierigkeit für das Verständnis des Anfangs
seiner Darlegung. Dort hatte er ja gerade auf die erbaulich-enkomiastische Funk-
tion des biographischen Exkurses im Geschichtswerk hingewiesen. Man kann ihn
vielleicht so verstehen, daß er enkomiastische Züge in der Geschichtsschreibung
insgesamt vermieden wissen will, daß er aber dem biographischen Exkurs diesen
Charakter zubilligt, eben wegen des erbaulichen Zweckes. Auch die Biographie
kann sich dem Enkomion nähern, wenn sie um der moralischen Belehrung willen
die negativen Züge im Bild einer insgesamt positiv bewerteten Person zwar nicht
verschweigt, aber geflissentlich zurücktreten läßt, wie es Plutarch in der Kimon-Vita
erläutert (2). Ganz entsprechend gibt es auch die Hervorkehrung der negativen
Seiten zum Zweck moralischer Unterweisung, was Plutarch für das Biographien-
paar Demetrios / Antonius ankündigt (1).
Darüber hinaus jedoch deuten die Forderungen, die Polybios im Schlußpara-
graphen für den Historiker aufstellt, auf eine ganz andere Rechtfertigung der Auf-
nahme biographischer Details. Wo nämlich die Ereignisse nicht nur wahrheits-
getreu und vollständig erzählt, sondern auch mit der umfassenden Begründung
ihrer Folge gesehen werden sollen, kann man auf den Rückgriff auf die in den
Lebensumständen der Handelnden liegenden Erklärungsmöglichkeiten nicht ver-
zichten.
Die Form der Historiographie, die Polybios damit der Biographie oder dem
Enkomion gegenüberstellt, war zu seiner Zeit gewiß nicht die einzige, wohl aber die
von ihm selbst bevorzugte, nämlich die αποδεικτική ιστορία oder ιστορία μετ’
άποδείξεως (vgl. F. W. Walbank, Polybius, Berkeley 1972, 57f). Nur in den Bü-
chern 1 und 2 seines großen Werkes begnügt er sich als Einleitung mit dem Über-
blick über eine Vielzahl von früheren Ereignissen, während er sich sonst ausdrück-
lich auf die vollständige, wahrheitsgetreue und vor allem auch die Ursachen erläu-
ternde Darstellung der Ereignisse festlegt. Die letztgenannte Forderung erhebt
übrigens auch Tacitus (hist. 1,4) und begründet sie mit der gleichfalls aus thuky-
dideisch-polybianischer Tradition stammenden Maxime, die Historie müsse nüt-
zen (ann. 4, 32,2ff.).
Polybios hat seine Geschichtsschreibung in mehreren polemischen Exkursen
auch gegen die Werke anderer Historiker abgegrenzt, etwa gegenüber der melo-
dramatischen, an die Emotion der Leser appellierenden Darstellung des Phylarchos
(2, 56-63) oder der ungeordnet und unkritisch zusammengestellten Vielfalt berich-
 
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