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Dihle, Albrecht; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1986, 3. Abhandlung): Die Entstehung der historischen Biographie: vorgetragen am 26. Apr. 1986 — Heidelberg: Winter, 1987

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https://doi.org/10.11588/diglit.48146#0029
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Die Entstehung der historischen Biographie

27

(ep. 5, 5,3) weist ihr eine Mittelstellung zwischen sermo und historia zu. Da die von
Plinius erwähnten einschlägigen Werke des C. Fannius (Plin. ep. 5,5) und des
Titinius Capito (ebd. 8,12) sich mit den Opfern Neros und Domitians unter der
Senatsaristokratie beschäftigten, liegt die politische Bezugnahme und die Berück-
sichtigung spezieller historischer Bedingungen auf der Hand.
Freilich muß man mit einer einfachen Gegenüberstellung politisch-historisch
orientierter und philosophisch-individualethisch-unhistorischer Biographie vor-
sichtig sein. Junius Rusticus und Herennius Senecio waren Stoiker, und die von
ihnen beschriebenen und gefeierten Helden gehörten nicht nur zur Senatsopposi-
tion gegen die Erbmonarchie, sondern gründeten nach der Darstellung ihrer
Biographen ihre politische Haltung auf philosophische, nach antiker Auffassung
also vom Wandel politischer Verhältnisse unabhängige und nur an der natura
rerum orientierte Überzeugung. Wir greifen hier - wie übrigens auch etwa bei
Seneca - eine römische Variante philosophischer Lebenshaltung, die ein zum Ideal
der Naturgemäßheit bestimmtes Telos der Lebensführung durchaus mit den zeit-
bedingten politischen Aufgaben in Beziehung setzt und exemplarische Erreichung
oder Verfehlung des Zieles nicht nur, wie das für die Biographien Plutarchs gilt, in
individualethischen, privaten Kategorien versteht.
Wir haben nun das Glück, ein Werk höchster literarischer Qualität zu besitzen,
das aus einer von römischen wie von griechisch-philosophischen Quellen gespei-
sten Tradition biographischer Schriftstellerei hervorgegangen ist, nämlich Tacitus’
Lebensbeschreibung seines Schwiegervaters.

III
Der Versuch, den ‘Agricola’ des Tacitus hinsichtlich seiner Gattungszugehörig-
keit zu bestimmen, hat eine ganze Bibliothek gelehrter Literatur hervorgerufen (P.
Steinmetz, Der altsprachl. Unterricht, Beih. I 1971, 129ff.). Tacitus’ eigene Äuße-
rungen zu dieser Frage sind nichts weniger als widersprüchlich: Er verweist auf die
Aufgabe, clarorum virorum facta moresque posteris tradere (1,1), bezieht sich auf
die Biographien des Rusticus und Senecio (2,1), bezeichnet sein Buch als honori
soceri mei destinatus (3,3) und im Rückblick am Ende des Werkes als Agricola
posteritati narratus (46,4). Dazu paßt die chronologische Lebensbeschreibung der
Kapitel 4 bis 9, in denen Herkunft, Jugend und erste Taten erzählt werden, und der
ausführliche Bericht über Tod und Testament sowie die abschließende Würdigung
des Charakters (43/44). Der Beginn der Erzählung (4) entspricht mit der Dreiglie-
derung τις, έκ τίνων, άγωγή alter enkomiastisch-biograpbischer Tradition (z. B.
Xen. Cyrup. 1, 1,6; Nikolaos v. Damaskus FGH 90 F 126; Dikaiarch fr. 40 Wehrli).
 
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