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Albrecht Dihle
Darauf hat Μ. Treu verwiesen (Hist. 3,1953/54,219 ff. = WdF 347,1983,198), und
auch in der rhetorischen Theorie ist das Schema gut bezeugt (Ps. Dion. Hal. ars rhet.
p. 278 Us. R. u. a.).
Ob man zu diesen ganz in bekannter biographischer Technik abgefaßten
Abschnitten auch die Kapitel 38-42 zuzurechnen hat, in denen Verhalten und
Schicksal des Helden nach der Abberufung aus Britannien berichtet werden, ist
ungewiß. Einmal nämlich dienen sie zweifellos in biographischer Absicht der
Charakteristik Agricolas unter den ganz anderen Bedingungen des hauptstädti-
schen Lebens, andererseits leisten sie einen Beitrag zu der historiographischen Auf-
gabe, ein Bild von den Zuständen in Rom während der letzten Regierungsjahre
Domitians zu zeichnen. Wir werden darauf zurückkommen.
Allen diesen Perikopen stehen nun aber solche gegenüber, die das Werk ganz
eindeutig als ein nach allen Regeln der Kunst komponiertes Stück Historiographie
erscheinen lassen: Die Kapitel 2-3 beschreiben die Atmosphäre der flavischen
Epoche, und Tacitus nennt die Schrift selbst eine Art von Abschlagszahlung auf
zukünftige historiographische Publikationen (3,3). Vor allem aber ist der Hauptteil
mit dem ganzen Inventar historiographischer Tradition ausgestattet: Da gibt es den
landeskundlichen Exkurs (10-12), die Vorgeschichte der erzählten Ereignisse (14-
17), den streng annalistisch aufgebauten Bericht der Feldzüge (18-27), den Exkurs
über eine kuriose Begebenheit als Gliederungsmittel (27) und schließlich die aus-
führliche Schilderung des Höhepunktes der Ereignisse, der Schlacht am Mons
Graupius (29ff). Hier findet man Feldherrenreden (30-32/33-34), dramatische
Einzelszenen (36f.), die Schlachtfeldbeschreibung (35) und das ganze übrige
„Zubehör“ einer literarisch-historiographischen Schlachtbeschreibung.
Ausdrückliche Bezugnahme auf historiographische Tradition bezeugt endlich
eine Beobachtung, die Marion Lausberg gelang (Gymn. 87, 1980, 41): Unmißver-
ständliche Anspielungen auf Sallusts historische Monographie über die Catilina-
rische Verschwörung sollen deutlich machen, daß Agricola die Vorzüge des sallusti-
schen Cato mit denen des sallustischen Caesar verband.
Zu solchen Elementen, die bereits verschiedenen Gattungstraditionen zuge-
hören, gesellen sich Partien, die ganz deutlich in der Tradition der Trosttopik, viel-
leicht auch der laudatio funebris stehen, so etwa der Verweis auf die rara castitas der
Mutter (4,2; vgl. CIL 6, 8508 u. a.) oder die Aufforderung (46,1 f.), statt der Klage
sich der contemplatio virtutum hinzugeben (vgl. CEL 433,1; Ps. Plut. consol. ad
Ap. 120 B). Derlei kam gewiß in Tacitus’ berühmter laudatio funebris für Verginius
Rufus (Plin. ep. 2, 1,6) vor. Den abschließenden Makarismos beim Rückblick auf
das Wirken eines großen Mannes kennt auch die Historiographie (Polyb. 8,12,6 im
Blick auf Aratos; vgl. Μ. Treu, Hist. 3, 1953/54, 219ff). Auch hierzu gibt es Paral-
lelen in der Funeraltopik (S. E. G. 2 Nr. 358 aus Thessalien, 4. Jh. v. C.).
Was ist es nun, das diesem Werk seine Einheit und hohe Qualität verleiht, deren
Wirkung sich wohl kaum ein Leser entziehen kann?
Albrecht Dihle
Darauf hat Μ. Treu verwiesen (Hist. 3,1953/54,219 ff. = WdF 347,1983,198), und
auch in der rhetorischen Theorie ist das Schema gut bezeugt (Ps. Dion. Hal. ars rhet.
p. 278 Us. R. u. a.).
Ob man zu diesen ganz in bekannter biographischer Technik abgefaßten
Abschnitten auch die Kapitel 38-42 zuzurechnen hat, in denen Verhalten und
Schicksal des Helden nach der Abberufung aus Britannien berichtet werden, ist
ungewiß. Einmal nämlich dienen sie zweifellos in biographischer Absicht der
Charakteristik Agricolas unter den ganz anderen Bedingungen des hauptstädti-
schen Lebens, andererseits leisten sie einen Beitrag zu der historiographischen Auf-
gabe, ein Bild von den Zuständen in Rom während der letzten Regierungsjahre
Domitians zu zeichnen. Wir werden darauf zurückkommen.
Allen diesen Perikopen stehen nun aber solche gegenüber, die das Werk ganz
eindeutig als ein nach allen Regeln der Kunst komponiertes Stück Historiographie
erscheinen lassen: Die Kapitel 2-3 beschreiben die Atmosphäre der flavischen
Epoche, und Tacitus nennt die Schrift selbst eine Art von Abschlagszahlung auf
zukünftige historiographische Publikationen (3,3). Vor allem aber ist der Hauptteil
mit dem ganzen Inventar historiographischer Tradition ausgestattet: Da gibt es den
landeskundlichen Exkurs (10-12), die Vorgeschichte der erzählten Ereignisse (14-
17), den streng annalistisch aufgebauten Bericht der Feldzüge (18-27), den Exkurs
über eine kuriose Begebenheit als Gliederungsmittel (27) und schließlich die aus-
führliche Schilderung des Höhepunktes der Ereignisse, der Schlacht am Mons
Graupius (29ff). Hier findet man Feldherrenreden (30-32/33-34), dramatische
Einzelszenen (36f.), die Schlachtfeldbeschreibung (35) und das ganze übrige
„Zubehör“ einer literarisch-historiographischen Schlachtbeschreibung.
Ausdrückliche Bezugnahme auf historiographische Tradition bezeugt endlich
eine Beobachtung, die Marion Lausberg gelang (Gymn. 87, 1980, 41): Unmißver-
ständliche Anspielungen auf Sallusts historische Monographie über die Catilina-
rische Verschwörung sollen deutlich machen, daß Agricola die Vorzüge des sallusti-
schen Cato mit denen des sallustischen Caesar verband.
Zu solchen Elementen, die bereits verschiedenen Gattungstraditionen zuge-
hören, gesellen sich Partien, die ganz deutlich in der Tradition der Trosttopik, viel-
leicht auch der laudatio funebris stehen, so etwa der Verweis auf die rara castitas der
Mutter (4,2; vgl. CIL 6, 8508 u. a.) oder die Aufforderung (46,1 f.), statt der Klage
sich der contemplatio virtutum hinzugeben (vgl. CEL 433,1; Ps. Plut. consol. ad
Ap. 120 B). Derlei kam gewiß in Tacitus’ berühmter laudatio funebris für Verginius
Rufus (Plin. ep. 2, 1,6) vor. Den abschließenden Makarismos beim Rückblick auf
das Wirken eines großen Mannes kennt auch die Historiographie (Polyb. 8,12,6 im
Blick auf Aratos; vgl. Μ. Treu, Hist. 3, 1953/54, 219ff). Auch hierzu gibt es Paral-
lelen in der Funeraltopik (S. E. G. 2 Nr. 358 aus Thessalien, 4. Jh. v. C.).
Was ist es nun, das diesem Werk seine Einheit und hohe Qualität verleiht, deren
Wirkung sich wohl kaum ein Leser entziehen kann?