Albrecht Dihle
26
verwirklicht wurde, ist auch seinem Biographen Nepos nicht verborgen geblieben
(2-4 über Atticus’ Aufenthalt in Athen). Schließlich gehört Cornelius Nepos selbst
zu den Vermittlern griechischer Gelehrsamkeit und griechischer Denkweise im
Rom seiner Tage. Aber ohne die sozial-politische und die ihr entsprechende bio-
graphische Tradition Roms hätte er gewiß nicht in so auffallender Weise die Un-
gewöhnlichkeit, ja Einmaligkeit dieses Lebenslaufes hervorheben können. Gerade
die Vita des Privatmannes Atticus wird so zum Zeugnis für eine biographische
Tradition römischer Prägung, die Lebensläufe im Hinblick auf ihre Bedeutung für
die res publica erfaßte und darum vermutlich auch dort, wo ihre Mittel der Darstel-
lung und womöglich sogar ihre Sprache griechisch waren, einen Wesenszug römi-
scher Lebensanschauung zum Ausdruck brachte.
Ob man freilich auf Grund des geschilderten Befundes mit Joseph Geiger
(I 66ff.) den Cornelius Nepos zum „Erfinder“ der politischen Biographie, der
Gattung der Lebensbeschreibung eines Feldherrn oder Staatsmanns, machen darf,
ist sehr zweifelhaft. Einmal reichen die vorhandenen Zeugnisse nicht aus, eine
solche Gattung der hellenistischen Literatur einfach abzusprechen. Das verbietet
schon der Umstand, daß man bei nicht wenigen bezeugten Werken die Gattungs-
zugehörigkeit gar nicht mehr bestimmen kann (s. o. S. 12). Außerdem ergab unser
Überblick, daß biographische oder autobiographische Darstellung politisch-
geschichtlicher Ereignisse dem römischen Publikum der Zeit des Nepos nicht
ungewohnt war, das Neue bei diesem Autor also weniger in diesem Zug seiner
Schriftstellerei als in der Auswahl der Personen aus der griechischen Überlieferung
zu suchen ist.
Was wir von der biographischen Literatur in lateinischer Sprache aus der frühen
Kaiserzeit wissen, scheint sich der „politischen“ Tradition römischer Provenienz zu
fügen. Augustus’ Leben des Drusus (Suet. Div. Claud. 1), Claudius Pollio’s Leben
des Annius Bassus (Plin. ep. 7, 31,5; vgl. A. Passerini, Ath. 18,1940,153f), Julius
Secundus’ Biographie des Redners Julius Africanus aus neronischer Zeit (Quint,
inst. 8,5,15 u. ö.; Tac. dial. 14,4), Plinius des Älteren Vita des Pomponius (Plin. ep.
3, 5,3) und schließlich die Vita des Thrasea Paetus aus der Feder des Junius Rusti-
cus und die des Helvidius Priscus aus der des Herennius Senecio (Tac. hist. 1, 2,3;
Cass. Dio 67, 13,2) teilten wohl alle die Eigenschaft, daß in ihnen Leben und Wir-
ken des Titelhelden mit Bezugnahme auf die besonderen Verhältnisse ihrer Zeit
und Gesellschaft erzählt wurden. Dasselbe darf man füglich für die Gattung der
Exitus illustrium virorum annehmen, die der Biographie mindestens nahesteht
(vgl. E. Paratore, Pensiero politico e oratoria nell’ Agricola di Tacito, Roma 1961,
2 ff.). Diese Gattung hatte eine griechische Vorgeschichte, die durch Ephippos’ von
Olynth Schrift vom Tod oder vom Begräbnis Alexanders und Hephaistions (FGH
126 F 1 ff.) bezeugt ist. Der Verfasser war ein Zeitgenosse des großen Makedonen.
Sie hatte auch ein langes Nachleben, z. B. bei Lactantius De mortibus persecu-
torum oder Ambrosius, De morte Valentiniani, und De morte Theodosii. Plinius
26
verwirklicht wurde, ist auch seinem Biographen Nepos nicht verborgen geblieben
(2-4 über Atticus’ Aufenthalt in Athen). Schließlich gehört Cornelius Nepos selbst
zu den Vermittlern griechischer Gelehrsamkeit und griechischer Denkweise im
Rom seiner Tage. Aber ohne die sozial-politische und die ihr entsprechende bio-
graphische Tradition Roms hätte er gewiß nicht in so auffallender Weise die Un-
gewöhnlichkeit, ja Einmaligkeit dieses Lebenslaufes hervorheben können. Gerade
die Vita des Privatmannes Atticus wird so zum Zeugnis für eine biographische
Tradition römischer Prägung, die Lebensläufe im Hinblick auf ihre Bedeutung für
die res publica erfaßte und darum vermutlich auch dort, wo ihre Mittel der Darstel-
lung und womöglich sogar ihre Sprache griechisch waren, einen Wesenszug römi-
scher Lebensanschauung zum Ausdruck brachte.
Ob man freilich auf Grund des geschilderten Befundes mit Joseph Geiger
(I 66ff.) den Cornelius Nepos zum „Erfinder“ der politischen Biographie, der
Gattung der Lebensbeschreibung eines Feldherrn oder Staatsmanns, machen darf,
ist sehr zweifelhaft. Einmal reichen die vorhandenen Zeugnisse nicht aus, eine
solche Gattung der hellenistischen Literatur einfach abzusprechen. Das verbietet
schon der Umstand, daß man bei nicht wenigen bezeugten Werken die Gattungs-
zugehörigkeit gar nicht mehr bestimmen kann (s. o. S. 12). Außerdem ergab unser
Überblick, daß biographische oder autobiographische Darstellung politisch-
geschichtlicher Ereignisse dem römischen Publikum der Zeit des Nepos nicht
ungewohnt war, das Neue bei diesem Autor also weniger in diesem Zug seiner
Schriftstellerei als in der Auswahl der Personen aus der griechischen Überlieferung
zu suchen ist.
Was wir von der biographischen Literatur in lateinischer Sprache aus der frühen
Kaiserzeit wissen, scheint sich der „politischen“ Tradition römischer Provenienz zu
fügen. Augustus’ Leben des Drusus (Suet. Div. Claud. 1), Claudius Pollio’s Leben
des Annius Bassus (Plin. ep. 7, 31,5; vgl. A. Passerini, Ath. 18,1940,153f), Julius
Secundus’ Biographie des Redners Julius Africanus aus neronischer Zeit (Quint,
inst. 8,5,15 u. ö.; Tac. dial. 14,4), Plinius des Älteren Vita des Pomponius (Plin. ep.
3, 5,3) und schließlich die Vita des Thrasea Paetus aus der Feder des Junius Rusti-
cus und die des Helvidius Priscus aus der des Herennius Senecio (Tac. hist. 1, 2,3;
Cass. Dio 67, 13,2) teilten wohl alle die Eigenschaft, daß in ihnen Leben und Wir-
ken des Titelhelden mit Bezugnahme auf die besonderen Verhältnisse ihrer Zeit
und Gesellschaft erzählt wurden. Dasselbe darf man füglich für die Gattung der
Exitus illustrium virorum annehmen, die der Biographie mindestens nahesteht
(vgl. E. Paratore, Pensiero politico e oratoria nell’ Agricola di Tacito, Roma 1961,
2 ff.). Diese Gattung hatte eine griechische Vorgeschichte, die durch Ephippos’ von
Olynth Schrift vom Tod oder vom Begräbnis Alexanders und Hephaistions (FGH
126 F 1 ff.) bezeugt ist. Der Verfasser war ein Zeitgenosse des großen Makedonen.
Sie hatte auch ein langes Nachleben, z. B. bei Lactantius De mortibus persecu-
torum oder Ambrosius, De morte Valentiniani, und De morte Theodosii. Plinius