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Albrecht Dihle
Monographie weiß (Polyb. 10, 21,7). Die gleichfalls bezeugte Ausführlichkeit der
Beschreibung von Herkunft, Jugend und Erziehung begegnet umgekehrt in
plutarchischen Viten ebenso wie in den Vorschriften zur Abfassung eines Enko-
mions (Anaxim. rhet. 1440 b 16ff.; Theon progymn. p. 110 Sp.; Aphth. progymn. p.
36 Sp.). Dazu kommt, daß Plutarch wie die Enkomiasten positive - gelegentlich
auch negative (Demetr. 1; Seit. 10) - Exempla zur moralischen Erziehung seiner
Leser geben möchte, denn daß Erziehung der Exempla bedarf, ist ein vieldiskutier-
ter und überwiegend anerkannter Grundsatz hellenistisch-kaiserzeitlicher Ethik
(vgl. Sen. epp. 94/95).
Die Biographie als ausgeformte literarische Gattung, wie sie uns bei Plutarch
entgegentritt, entstand gewiß später als das Enkomion, dessen Gattungscharakter
sich schon während des frühen 4. Jh. v. C. in Praxis und Theorie festigte. Freilich
standen sich beide stets nahe, einmal durch das gemeinsame Prinzip, die ήϋη des
Helden durch einen Bericht über seine πράξεις darzustellen, sowie durch den eben-
falls gemeinsamen Grundsatz, daß die sittlichen, auf einer Verfassung der Seele
beruhenden Verhaltensweisen als Gegenstand einer Darstellung in den Kategorien
von Lob und Tadel, also in moralisch-paedagogischer Absicht, geeigneter seien als
alle anderen Vorzüge oder Fehler. Während die Theoretiker des Enkomions diese
Regel ausdrücklich lehren (z. B. Aristot. rhet. 1366 b 25ff.), läßt sich ihre Befolgung
bei Plutarch daran ablesen, daß er aus Begebenheiten in der Jugend des Helden
meist Schlüsse auf dessen moralisch neutrale φυσις zieht, die sittlichen Eigenschaf-
ten, die gelobt oder getadelt werden können, mit Hilfe des Berichts über die Taten
und Leiden des reifen Mannes illustriert (A. Dihle, Studien zur griechischen Bio-
graphie, Göttingen21970, 63). Wie klein der Schritt vom Enkomion zur Biographie
war, zeigt eine Äußerung des Isokrates in der ‘Antidosis’ (or. 15, 6-8): Er wolle, so
sagt er, da sein Charakter (τρόποι), seine Lebensführung (βίος) und die von ihm ver-
tretene Lehre (παιδεία) vielfach verkannt würden, eine Schrift verfassen, die ein
Bild seiner Gesinnung und dessen, was er im Leben vor sich gebracht habe (εΐκών
τής έμής διανοίας και των άλλων των βεβιωμένων), geben könne. Obgleich er fähig
sei, ein Enkomion auf sich selbst zu verfassen, wolle er dieses aus Gründen des
guten Geschmackes (ούτ’ έπιχαρίτως, ούδ’ άνεπιφϋόνως) nicht tun, vielmehr mit
Hilfe der Fiktion der Verteidigung gegenüber einer gerichtlichen Klage die verkehr-
ten Urteile seiner Gegner über ihn widerlegen. Autobiographie und Autenkomion
stehen hier einander ganz nahe. Entsprechendes gilt sicherlich auch für die frühe
Philosophenbiographie: Die Platon-Vita des Hermodoros war vermutlich eine Art
von Enkomion (Cic. ad Att. 13, 21,4; Acad. index col. VI 34 Mekler), während
Aristoxenos’ Biographien des Sokrates und Platon, die vermutlich als Darstellung
bestimmter Lebensformen Gegenbilder zur Pythagoras-Biographie entwerfen soll-
ten, eher wie ψόγοι zu lesen waren (Aristox. fr. 51 ff.; 61 ff. Wehrli). Auch Herrn -
ippos’ Aristoteles-Biographie scheint enkomiastische, zumindest apologetische
Züge getragen zu haben, wurde sie doch gegen eine lange aristotelesfeindliche Tra-
Albrecht Dihle
Monographie weiß (Polyb. 10, 21,7). Die gleichfalls bezeugte Ausführlichkeit der
Beschreibung von Herkunft, Jugend und Erziehung begegnet umgekehrt in
plutarchischen Viten ebenso wie in den Vorschriften zur Abfassung eines Enko-
mions (Anaxim. rhet. 1440 b 16ff.; Theon progymn. p. 110 Sp.; Aphth. progymn. p.
36 Sp.). Dazu kommt, daß Plutarch wie die Enkomiasten positive - gelegentlich
auch negative (Demetr. 1; Seit. 10) - Exempla zur moralischen Erziehung seiner
Leser geben möchte, denn daß Erziehung der Exempla bedarf, ist ein vieldiskutier-
ter und überwiegend anerkannter Grundsatz hellenistisch-kaiserzeitlicher Ethik
(vgl. Sen. epp. 94/95).
Die Biographie als ausgeformte literarische Gattung, wie sie uns bei Plutarch
entgegentritt, entstand gewiß später als das Enkomion, dessen Gattungscharakter
sich schon während des frühen 4. Jh. v. C. in Praxis und Theorie festigte. Freilich
standen sich beide stets nahe, einmal durch das gemeinsame Prinzip, die ήϋη des
Helden durch einen Bericht über seine πράξεις darzustellen, sowie durch den eben-
falls gemeinsamen Grundsatz, daß die sittlichen, auf einer Verfassung der Seele
beruhenden Verhaltensweisen als Gegenstand einer Darstellung in den Kategorien
von Lob und Tadel, also in moralisch-paedagogischer Absicht, geeigneter seien als
alle anderen Vorzüge oder Fehler. Während die Theoretiker des Enkomions diese
Regel ausdrücklich lehren (z. B. Aristot. rhet. 1366 b 25ff.), läßt sich ihre Befolgung
bei Plutarch daran ablesen, daß er aus Begebenheiten in der Jugend des Helden
meist Schlüsse auf dessen moralisch neutrale φυσις zieht, die sittlichen Eigenschaf-
ten, die gelobt oder getadelt werden können, mit Hilfe des Berichts über die Taten
und Leiden des reifen Mannes illustriert (A. Dihle, Studien zur griechischen Bio-
graphie, Göttingen21970, 63). Wie klein der Schritt vom Enkomion zur Biographie
war, zeigt eine Äußerung des Isokrates in der ‘Antidosis’ (or. 15, 6-8): Er wolle, so
sagt er, da sein Charakter (τρόποι), seine Lebensführung (βίος) und die von ihm ver-
tretene Lehre (παιδεία) vielfach verkannt würden, eine Schrift verfassen, die ein
Bild seiner Gesinnung und dessen, was er im Leben vor sich gebracht habe (εΐκών
τής έμής διανοίας και των άλλων των βεβιωμένων), geben könne. Obgleich er fähig
sei, ein Enkomion auf sich selbst zu verfassen, wolle er dieses aus Gründen des
guten Geschmackes (ούτ’ έπιχαρίτως, ούδ’ άνεπιφϋόνως) nicht tun, vielmehr mit
Hilfe der Fiktion der Verteidigung gegenüber einer gerichtlichen Klage die verkehr-
ten Urteile seiner Gegner über ihn widerlegen. Autobiographie und Autenkomion
stehen hier einander ganz nahe. Entsprechendes gilt sicherlich auch für die frühe
Philosophenbiographie: Die Platon-Vita des Hermodoros war vermutlich eine Art
von Enkomion (Cic. ad Att. 13, 21,4; Acad. index col. VI 34 Mekler), während
Aristoxenos’ Biographien des Sokrates und Platon, die vermutlich als Darstellung
bestimmter Lebensformen Gegenbilder zur Pythagoras-Biographie entwerfen soll-
ten, eher wie ψόγοι zu lesen waren (Aristox. fr. 51 ff.; 61 ff. Wehrli). Auch Herrn -
ippos’ Aristoteles-Biographie scheint enkomiastische, zumindest apologetische
Züge getragen zu haben, wurde sie doch gegen eine lange aristotelesfeindliche Tra-