18
Albrecht Dihle
Einleitung zu seinen Philosophen-Biographien, der Biograph müsse die πάρεργα
großer Männer sorgfältig registrieren. Eunapios beruft sich für diesen Grundsatz auf
Xenophon. Dieser hatte in seinem Enkomion auf Agesilaos (3,1) erklärt, die großen
Taten seines Helden seien hinlänglich dokumentiert und man brauche sie nur nach-
zuerzählen. Dementsprechend besteht der Hauptteil der Schrift vom 3. Kapitel an
in einem ausführlichen Tugendenkatalog, in dem die einzelnen Verhaltensweisen
meist mit Hilfe kleinerer Begebenheiten dargestellt und erläutert werden.
Dieser Zug entspricht, wie oben gezeigt, genau der polybianischen Konzeption
einer Lebensbeschreibung im Rahmen der Historiographie (10,21). Sowohl als Teil
eines Begründungszusammenhanges, der dem Leser die Verknüpfung geschicht-
licher Ereignisse einsichtig machen soll, als auch in der Form eines „erbaulichen“
Exkurses dient das biographische Element in der Geschichtsschreibung dazu, die
Kluft zwischen Einst und Jetzt für den Leser durch einen Rekurs auf die gleich-
bleibende Menschennatur zu überspringen. Das ist thukydideisch gedacht, ent-
spricht aber auch dem Menschenbild aller hellenistischen Philosophie und ihrer
vor allem ethischen Zweckbestimmung. Auch darin liegt ein Hinweis auf die Ent-
stehung der Biographie als literarischer Gattung im Rahmen moralphilosophischer
Schriftstellerei. Der Gebildete hellenistisch-römischer Zeit war wohl stets geneigt,
politisch-historische Information aus einem primär moralischen Interesse an der
Überlieferung ins Private umzudeuten. Ein gutes Beispiel dafür ist Favorins
Interpretation eines dem Solon zugeschriebenen attischen Gesetzes (Gell. n. a.
2, 12,5), das Parteinahme beim Ausbruch eines Bürgerkrieges vorschrieb.
Die erste Häufung von Hinweisen auf veröffentlichte Biographien zeigt sich in
den Nachrichten aus der Geschichte des frühen Peripatos. Es scheinen die für
Aristoxenos, Dikaiarch, Chamaileon u. a. bezeugten Biographien allesamt in den
Zusammenhang ethischer Typologie und Paränese zu gehören, und in eben dieser
Zeit beginnt die Alleinherrschaft der durchweg unpolitischen und ungeschicht-
lichen Individualethik der hellenistischen Philosophenschulen, die als Ziel sitt-
licher Bemühung die bewußte Verwirklichung der von der Natur verliehenen Mög-
lichkeiten des einzelnen Menschen festlegt. Wenn irgendwo Lebensberichte über
die bloße Zusammenstellung interessanter, andere Denkwürdigkeiten begleitender
oder erklärender Angaben zu den Schicksalen berühmter Könige, Dichter, Erfinder
oder Staatsmänner hinaus in feste literarische Formen gekleidet wurden, dann in
eben diesem Zusammenhang. Die Erreichung oder Verfehlung des Zieles sittlicher
Bemühung, der naturgemäßen Eudaimonie, läßt sich nur an einem zur Gänze in
den Blick genommenen, individuellen Lebenslauf überzeugend nachweisen. Man
braucht dazu nicht notwendigerweise alle in ihm vorgefallenen Ereignisse zu erzäh-
len, wohl aber alle diejenigen Details, die Aufschluß über die Voraussetzungen, die
Entstehung und die definitive, erst mit dem Tod abgeschlossene Bewährung der
sittlich bewerteten Verhaltensweisen geben. Da sich das Phänomen der Entfaltung
sittlicher Eigenschaften auf der allen Menschen gemeinsamen, nur in den Kate-
Albrecht Dihle
Einleitung zu seinen Philosophen-Biographien, der Biograph müsse die πάρεργα
großer Männer sorgfältig registrieren. Eunapios beruft sich für diesen Grundsatz auf
Xenophon. Dieser hatte in seinem Enkomion auf Agesilaos (3,1) erklärt, die großen
Taten seines Helden seien hinlänglich dokumentiert und man brauche sie nur nach-
zuerzählen. Dementsprechend besteht der Hauptteil der Schrift vom 3. Kapitel an
in einem ausführlichen Tugendenkatalog, in dem die einzelnen Verhaltensweisen
meist mit Hilfe kleinerer Begebenheiten dargestellt und erläutert werden.
Dieser Zug entspricht, wie oben gezeigt, genau der polybianischen Konzeption
einer Lebensbeschreibung im Rahmen der Historiographie (10,21). Sowohl als Teil
eines Begründungszusammenhanges, der dem Leser die Verknüpfung geschicht-
licher Ereignisse einsichtig machen soll, als auch in der Form eines „erbaulichen“
Exkurses dient das biographische Element in der Geschichtsschreibung dazu, die
Kluft zwischen Einst und Jetzt für den Leser durch einen Rekurs auf die gleich-
bleibende Menschennatur zu überspringen. Das ist thukydideisch gedacht, ent-
spricht aber auch dem Menschenbild aller hellenistischen Philosophie und ihrer
vor allem ethischen Zweckbestimmung. Auch darin liegt ein Hinweis auf die Ent-
stehung der Biographie als literarischer Gattung im Rahmen moralphilosophischer
Schriftstellerei. Der Gebildete hellenistisch-römischer Zeit war wohl stets geneigt,
politisch-historische Information aus einem primär moralischen Interesse an der
Überlieferung ins Private umzudeuten. Ein gutes Beispiel dafür ist Favorins
Interpretation eines dem Solon zugeschriebenen attischen Gesetzes (Gell. n. a.
2, 12,5), das Parteinahme beim Ausbruch eines Bürgerkrieges vorschrieb.
Die erste Häufung von Hinweisen auf veröffentlichte Biographien zeigt sich in
den Nachrichten aus der Geschichte des frühen Peripatos. Es scheinen die für
Aristoxenos, Dikaiarch, Chamaileon u. a. bezeugten Biographien allesamt in den
Zusammenhang ethischer Typologie und Paränese zu gehören, und in eben dieser
Zeit beginnt die Alleinherrschaft der durchweg unpolitischen und ungeschicht-
lichen Individualethik der hellenistischen Philosophenschulen, die als Ziel sitt-
licher Bemühung die bewußte Verwirklichung der von der Natur verliehenen Mög-
lichkeiten des einzelnen Menschen festlegt. Wenn irgendwo Lebensberichte über
die bloße Zusammenstellung interessanter, andere Denkwürdigkeiten begleitender
oder erklärender Angaben zu den Schicksalen berühmter Könige, Dichter, Erfinder
oder Staatsmänner hinaus in feste literarische Formen gekleidet wurden, dann in
eben diesem Zusammenhang. Die Erreichung oder Verfehlung des Zieles sittlicher
Bemühung, der naturgemäßen Eudaimonie, läßt sich nur an einem zur Gänze in
den Blick genommenen, individuellen Lebenslauf überzeugend nachweisen. Man
braucht dazu nicht notwendigerweise alle in ihm vorgefallenen Ereignisse zu erzäh-
len, wohl aber alle diejenigen Details, die Aufschluß über die Voraussetzungen, die
Entstehung und die definitive, erst mit dem Tod abgeschlossene Bewährung der
sittlich bewerteten Verhaltensweisen geben. Da sich das Phänomen der Entfaltung
sittlicher Eigenschaften auf der allen Menschen gemeinsamen, nur in den Kate-