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Dihle, Albrecht; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1986, 3. Abhandlung): Die Entstehung der historischen Biographie: vorgetragen am 26. Apr. 1986 — Heidelberg: Winter, 1987

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https://doi.org/10.11588/diglit.48146#0040
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Albrecht Dihle

die Beschreibung und Einordnung der in ihnen dargestellten Titelfiguren (128;
bzw. 144ff). Plutarch erzählt Begebenheiten als Taten und Leiden seiner Helden,
um daran ihre ήϋη zu verdeutlichen. Dabei stehen durchaus echte Ereignisse, ob
große oder kleine, im Vordergrund. Sueton interessiert sich weniger für die Ereig-
nisse an sich als für Sitten, Institutionen, Zustände und richtet besonderes Augen-
merk darauf, in welcher Weise die von ihm dargestellten Kaiser in dieser Hinsicht
Veränderungen, sei es zum Guten oder Schlechten, herbeigeführt haben. Aus
dieser Perspektive kann zwar ebenso wie aus derjenigen Plutarchs die kleine Be-
gebenheit an der kaiserlichen Tafel oder im Theater aufschlußreicher sein als die
Haupt- und Staatsaktion. Aber während sich nach der ganz aristotelischen Anthro-
pologie Plutarchs ήϋη in Handlungen (πράξεις) sowohl bilden als auch zeigen (A.
Dihle, Studien zur griech. Biographie, Göttingen 21970, 60f.), das Schwergewicht
einer derart orientierten Biographie darum auf großen und kleinen Handlungen als
solchen liegen muß, sind für Sueton die Zustände in Staat und Gesellschaft interes-
santer. Handlungen und Handlungsweisen oder Eigenschaften verdienen bei
Sueton vor allem in ihrer Auswirkung auf die Zustände Beachtung. Daß Haupt- und
Staatsaktionen, Schlachten u. dgl. deshalb zurücktreten, wird in diesem Zusam-
menhang verständlich, ebenso die Kluft, die eine solche Schriftstellerei von einer
Historiographie trennt, der es vornehmlich um die res gestae geht und die
Zustände, etwa in Exkursen, meist nur zur Verdeutlichung der Bedingungen
beschreibt, unter denen sich die Handlungen ereignet haben.
Die gelehrte Tradition, in die sich Sueton damit einordnete, begann bei den
Atthidographen im 4. Jh. v. C. und kam im Peripatos in den großen Sammlungen
der Staats-, Kult- und Rechtsaltertümer, des literar- und wissenschaftsgeschicht-
lichen Materials sowie in zusammenfassenden Darstellungen wie dem Βίος
Ελλάδος des Dikaiarch oder der Schrift περϊ ποιητικής καί ποιητών des Heraklei-
des Pontikos zur vollen Entfaltung. Sie setzte sich durch die ganze hellenistische
Epoche fort, und zwar sowohl in formlosen Werken gelehrten Sammelfleißes auf
den verschiedensten Gebieten von der Heortologie bis zur Prosopographie, als auch
in Büchern, die für ein breiteres Publikum eine literarische, zuweilen sogar
poetische Stilisierung aufwiesen. Seit etwa 100 v. C. fand diese Aktivität mit den ihr
zugeordneten literarischen und subliterarischen Formen ihren Platz auch im römi-
schen Geistesleben (Cic. Brut. 205; dazu H. Dahlmann, Abh. Akad. Mainz 1962
Nr. 10, 101 ff.). Varros Schriften De vita populi Romani, De gente populi Romani,
seine Antiquitates rerum divinarum et humanarum, seine Schrift De poetis (vgl. H.
Dahlmann, R. E. Suppl. 6, 1235ff.) sind besonders herausragende Beispiele dieser
Tradition, aber auch Traktate wie der Liber annalis des Atticus oder die Viri illustres
des Cornelius Nepos.
Von der Historiographie war diese ganze Tradition nicht nur dadurch getrennt,
daß sie auch dort, wo sie durch Werke in literarischer Stilisierung vertreten war -
Aristoteles’ Schrift vom Staat der Athener, Satyros’ Leben des Euripides oder Cice-
 
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