Metadaten

Dihle, Albrecht; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1986, 3. Abhandlung): Die Entstehung der historischen Biographie: vorgetragen am 26. Apr. 1986 — Heidelberg: Winter, 1987

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.48146#0042
Lizenz: Freier Zugang - alle Rechte vorbehalten
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
40

Albrecht Dihle

sich auf engem Felde und bringt keinen Ruhm: Der Friede steht fest oder ist nur
unwesentlich gefährdet, in der Hauptstadt Friedhofsruhe (maestae urbis res), der
Kaiser ohne Ehrgeiz, das Reich zu mehren“.
Daß der Kaiserfriede, der je nach der politischen Einstellung des Autors als
cruenta (Tac. ann. 1, 10,4) oder laeta (Veli. Paterc. 2, 126,3) bezeichnet werden
konnte, die literarische Betätigung behindere, sagt Tacitus auch im Dialogus. Dort
ist es der innere Friede, die Ordnung und die Rechtssicherheit des Kaiserstaates, die
das Aufkommen großartiger Beredsamkeit verhindern (40/41). Denn wo alles
seinen festen Platz hat oder seinen geordneten Gang geht, bedarf es nicht der Bered-
samkeit, die als Waffe im Streit der Bürger ihren Zweck erfüllt.
Gewiß beurteilt Tacitus diese für Redner wie Geschichtsschreiber unergiebige
Zeit nicht nur negativ wie der Autor der Schrift vom Erhabenen (44). Der Mangel
an rednerischem Glanz wird durch die geordneten und sicheren Lebensbedingun-
gen (modus, temperamentum) aufgewogen, und jeder, so sagt Maternus (dial.
41,5), solle sich des Vorzuges der eigenen Zeit citra obtrectationem freuen. Aber es
überwiegen im Gesamtwerk eben doch solche Äußerungen, in denen die ab-
stumpfende und lähmende Wirkung des langen Kaiserfriedens hervorgehoben wird
(Agric. 11,5; hist. 1, 67,2; ann. 13, 35,1 u. v. a.; vgl. Syme 1,218). Gerade die Fried-
lichkeit der Verhältnisse, die mit dem Verlust der libertas bezahlt worden war,
führte in der Kaiserzeit zu der Meinung, die Welt sei alt geworden (Sen. rhet. b.
Lact. inst. 7, 15,14; Flor praef. 7; vgl. Veil. Paterc. 2, 11,3; Amm. 14, 6,3-5).
Das Fehlen großer und bewegender - äußerer oder innerer - Auseinander-
setzungen, das den Kaiserfrieden auszeichnet, bewirkt endlich, daß sich die einzel-
nen Abschnitte der Kaisergeschichte bis zum Überdruß gleichen, obvia rerum
similitudine et satietate (ann. 4, 33,3; vgl. auch 14, 64,3). Auch wenn er von Be-
gebenheiten berichtet, die zwei oder drei Generationen zurückliegen, wird Tacitus
Leser finden, die wegen der Gleichheit der Verhaltensweisen glauben, es werde
ihnen der Frevel anderer vorgeworfen (4, 33,4).
Die Unfähigkeit des römischen Volkes, vor allem seiner Oberschicht, im Kaiser-
staat mit dem Ernstfall eines wirklichen Krieges fertig zu werden, schildert Tacitus
besonders eindringlich anläßlich des Ausbruchs der Feindseligkeiten zwischen
Vitellius und Otho (hist. 1,88/89). Man kennt den Krieg als ein in der eigenen
Gegenwart mögliches Ereignis nur in der Form militärischer Expeditionen gegen
Barbarenvölker jenseits der Reichsgrenzen oder als lokale Insurrektion. Die
dadurch entstandene securitas (1, 89,1) der Menschen speist sich aus der Über-
zeugung, der Krieg gehe sie nichts an: nam ex quo divus Augustus res Caesarum
composuit, procul et in unius sollicitudinem aut decus populus Romanus bella-
verat. Daß die Segnungen eines solchen Zustandes gerade den Besonnenen am
Herzen liegen, wenn er plötzlich in Frage gestellt wird, sagt Tacitus ausdrücklich:
sapientibus quietis et rei publicae cura. Die Leichtfertigen knüpfen an den begin-
nenden großen Krieg, für den keiner ein Modell in seiner Erfahrung besitzt, große
 
Annotationen
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften