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Dihle, Albrecht; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Editor]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1986, 3. Abhandlung): Die Entstehung der historischen Biographie: vorgetragen am 26. Apr. 1986 — Heidelberg: Winter, 1987

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https://doi.org/10.11588/diglit.48146#0049
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Die Entstehung der historischen Biographie

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heiten seiner Umwelt glaubt Rücksicht nehmen zu müssen. Dieses gelingt ihm um
so besser, als er der wahre Meister in der Kunst der Verstellung ist (4, 71,3; 6, 50,1
u. ö.). Da die Hindernisse, die den Auswirkungen der schlechten Natur des Kaisers
entgegenstehen und ihn zur Beschränkung in der Ausübung seiner Macht, ja sogar
zu guten und wohltätigen Handlungen nötigen, nacheinander wegfallen, vollzieht
sich in Tacitus’ Augen sein Abgleiten in alle Niederungen tyrannischer Lebens- und
Handlungsweise über mehrere Etappen: Es sind der Tod des Germaniens, des
Drusus, der Livia und der Sturz Seians, die diese Abschnitte bezeichnen (6, 51,3).
In der guten Phase kam sein wahres Wesen nur gelegentlich zum Durchbruch.
F. Klingner hat am Vergleich der bei Tacitus, Sueton und Cassius Dio vorliegen-
den Version der Tiberius-Überlieferung gezeigt (Sitz. Ber. Mü. 1953 H. 7,1-45 -
WdF 97,496 ff.), daß die Vorstellung von der zunächst guten und dann schlechten
Regierung des Tiberius vermutlich schon unter Caligula entstand und sich allge-
mein durchsetzte, wobei der Tod des Germanicus i. J. 19 n. C., dessen Andenken
unter dem Prinzipat seines Sohnes wieder zu Ehren kam, das Epochenjahr markiert
haben wird (Μ. Geizer, R. E. 10,1917,535). Das schimmert bei Tacitus noch durch
(4, 1,1), wird bei Dio direkt ausgesprochen (57, 13,6), während bei Sueton in der
Tiberius-Vita die Zweiteilung an Tiberius’ definitiver Abreise nach Campanien
bzw. Capri (40) geknüpft ist, in der Caligula-Vita jedoch dem Tod des Germanicus
diese Bedeutung zuerkannt wird (Iff, vor allem 6).
Merkwürdig ist, daß die einfache Zweiteilung in eine gute und eine schlechte
Phase zwar bei allen drei Autoren deutlich gemacht wird, Tacitus aber das Jahr 23
n. C. zum Epochenjahr erhebt, in das die entscheidende Untat Seians, die Ermor-
dung des Tiberius-Sohnes Drusus fällt (4,8). Seian wird ausdrücklich zu initium und
causa des i. J. 23 n. C. beginnenden Unheils (4,1,1) erklärt, obwohl in der abschlie-
ßenden Charakteristik des Tiberius (6,51,3 s. o. S. 46) bereits der Tod des Germani-
cus den Beginn der Verderbnis bezeichnet.
F. Klingner hat das unbezweifelbare Sallust-Zitat am Beginn des 4. Annalen-
buches (cum repente turbare fortuna coepit, saevire ipse aut saevientibus vires
praebere; vgl. Sali. Cat. 10 saevire fortuna ac miscere omnia coepit), das die Mitte
der 6 Tiberius-Bücher in der Tat mit einem starken Akzent versieht, noch weiter
dahin interpretiert, daß Tacitus zur Gestaltung der Tiberius-Geschichte sich eines
weiteren sallustischen Gedankens bedient habe. Mit der Beseitigung Karthagos
hörte nach Sallusts Meinung (hist. fr. 1,12 Μ.) die heilsame Furcht vor einem mäch-
tigen Gegner auf, die bis dahin die zerstörerischen Kräfte im Innern des römischen
Staates an der Entfaltung gehindert hatte. In entsprechender Weise habe Tacitus
den inneren Werdegang des Tiberius und seine geschichtlichen Auswirkungen
geschildert.
Gewiß sollte niemand den Einfluß unterschätzen, den die Kunst Sallusts, des
rerum Romanarum florentissimus auctor (ann. 3,30), auf Tacitus ausübte. Aber
schon lange vor Sallust gab es das entsprechende Modell für die Darstellung eines
 
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