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Dihle, Albrecht; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1986, 3. Abhandlung): Die Entstehung der historischen Biographie: vorgetragen am 26. Apr. 1986 — Heidelberg: Winter, 1987

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https://doi.org/10.11588/diglit.48146#0052
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Albrecht Dihle

- veränderte also nicht seine Natur - wohl aber aus einem König zu einem Tyran-
nen (7,13,3 ff· bes. 13,7). Wie aber ein König zu handeln habe, wird gerade in einem
parallelen Abschnitt über das Verhalten Philipps präzise definiert (5, 11,6).
Aus Polybios’ Sicht veränderte sich also das Verhalten des Königs zum Schlech-
ten und gegen seine Natur unter dem Einfluß des im Hannibal-Abschnitt an zweiter
Stelle genannten Faktors, der Einwirkung schlechter Freunde und Ratgeber. Damit
nimmt Polybios ein sehr altes Motiv auf. Schon Aristophanes läßt in den „Wespen“
den Chor sagen (1457ff): „Schwer ist es, von seiner Natur (φύσις) zu lassen, die
man lebenslang besitzt. Und doch ist es schon vielen so ergangen, daß ihr Verhalten
(τρόποι) umschlug (μεταβάλλειν), wenn sie mit den Ein- und Absichten (γνώμαι)
anderer in Berührung kamen“. Ähnliches steht bei Euripides (El. 367ff.) und im
Theognis-Buch (305ff). Beim letzten Bericht über eine Untat Philipps (22, 13,1 ff.)
erscheint diese Erklärung jedoch nicht, und sie fehlt auch in den Abschnitten, die
sich auf seine Veränderung zum Guten in den letzten Regierungsjahren beziehen
(18, 33,6; 25, 3,9f.). An der zweiten dieser Stellen stößt man vielmehr auf die über-
raschende Feststellung, daß Philipp auf der Höhe des Erfolges und im Vollbesitz
der Macht in Griechenland (δτε τήν κατά των Ελλήνων έξουσίαν έλαβε),
treulos und frevelhaft (άπιστότατος και παρανομώτατος) gewesen sei, als aber die
Tyche sich von ihm ab wandte, der maßvollste von allen (πάντων μετριότατος). Ein
Verweis auf die unermüdliche Energie, die Philipp gerade unter den ungünstigen
Umständen seiner späten Regierungsjahre entfaltete, um sein Reich zu festigen,
rundet diese Feststellung ab. Hier wird deutlich, wie Polybios die im Hannibal-
Abschnitt zurückgewiesene Meinung, daß entweder unbeschränkte Macht oder
Unglück die Physis eines Menschen im politischen Leben zutage treten lasse, doch
durchaus einzuleuchten scheint, und damit ergibt sich eine deutliche Parallele zum
Tiberius-Bild des Tacitus bzw. der von ihm übernommenen Tradition.
F. W.Walbank (Journ. Hell. Stud. 58, 1938, 55ff. = WdF 347,1982,1 ff.) hat mit
Erfolg die Meinung zurückgewiesen, Polybios habe sich bei der Ausgestaltung der
Geschichte Philipps V. des Vorbildes der Tragödie oder der Novelle bedient. Viel-
mehr fügt sich die sorgfältige Nachzeichnung der Wandlungen im Tun und Leiden
des Königs zu den für Polybios auch sonst bezeugten Ansichten (7, 14) von der
Geschichte als Lehrmeisterin in Moral und Politik (1,1,2) und der Rolle der Tyche
als gerecht vergeltender Macht im Leben des Einzelnen und der Staaten (1,35,1 f.).
Solches will er nicht, wie andere Historiker, in Vorreden oder Exkursen behandeln,
sondern an den Ereignissen (έπ’ αύτών των πραγμάτων) darstellen (10, 26,9f.).
Wichtig für eine Beurteilung der Auffassung, die Polybios von der moralischen
Metabole eines Staatsmannes oder Feldherrn entwickelt, ist noch das folgende
Detail.
Es gibt in Polybios’ Augen nur zwei Größen, die zur Erklärung des Handelns der
Mächtigen herangezogen werden: ihre Physis und die Zwänge, die von außen kom-
men. Zur Physis gehören aber für Polybios nicht nur die „natürlichen“, spontanen
 
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