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Albrecht Dihle
Die zu fordernde charismatische Natur des Kaisers scheint in Suetons Augen
durch die entsprechende Abstammung zwar nicht garantiert, aber doch ange-
deutet zu sein. Das zeigt seine Erzählung der Karriere Vespasians. Offensicht-
lich mit vollem Verständnis für diese Maßnahme berichtet er, daß Vespasian
durch Nero mit dem wichtigen Kommando über die zur Niederwerfung des
jüdischen Aufstandes große Truppenmacht betraut worden sei, obwohl er beim
Kaiser in Ungnade gefallen war, ut et industriae expertae nec metuendus ullo modo
ob humilitatem generis et nominis (Vesp. 4,5). Seine Herkunft schließt Vespasian
in den Augen Neros von jeder ernsthaften Aspiration auf das Kaiseramt aus.
Andererseits wird lunius Silanus (ann. 13,1) auf Betreiben der Agrippina aus dem
Wege geräumt, obwohl er so träge und ohne Ehrgeiz ist, daß ihn Caligula das
goldene Rind nannte. Aber es gab vielfältige Stimmen im Volk, nach denen ein
vornehmer, unbescholtener Mann in gesetztem Alter, der noch dazu - quod tune
spectaretur - aus der kaiserlichen Familie stamme, dem jungen, aber schon durch
eine Untat belasteten Nero vorzuziehen sei. Dementsprechend muß Vespasian als
Gründer einer neuen Dynastie sein Charisma erst beweisen. Das tut er und gewinnt
dabei auctoritas und maiestas durch zwei öffentlich ausgefuhrte Heilungswunder in
Alexandrien, zu denen ihn seine Umgebung erst auffordern muß, weil er selbst an
ihre Möglichkeit nicht glaubt (Suet. Vesp. 7,2f.; Tac. hist. 4,81). Zu seiner Eignung
für das Herrscheramt gehört demnach eine objektiv vorhandene Qualität seiner
Natur, die nichts mit seinen sittlichen Verhaltensweisen und seinem damit zusam-
menhängenden Selbstbewußtsein zu tun hat (vgl. G. Alföldy, Röm. Gesellschaft
367f.).
Von diesem Sachverhalt fällt auch Licht auf das Verdikt, das Tacitus (hist. 1,49)
über Person und Laufbahn Galbas fällt: omnium consensu capax imperii nisi
imperasset. Seinem medium ingenium (ebd.) fehlte eben das Charisma des zum
Kaiser Geborenen, der nicht so sehr frei von Fehlern oder Lastern (extra vitia) als
vielmehr mit sehr bestimmten Vorzügen (cum virtutibus) ausgestattet sein muß.
Bei Galba war es umgekehrt.
Die an solchen Stellen sichtbar werdende Vorstellung vom charismatischen, die
bloße Menschennatur transzendierenden Charakter der Person des Kaisers ent-
sprach gewiß verbreiteten religiösen Auffassungen und ebenso der sakralen Über-
höhung des Kaisertums in Politik und Repräsentation. Sie widersprach hingegen
nicht nur der philosophischen Lehre περί βασιλείας in ihren verschiedenen literari-
schen Ausprägungen, sondern auch den staatsrechtlichen Konstruktionen, auf
denen das römische Kaisertum errichtet war und auf die man sich in öffentlichen
Kundgebungen vor Senat, Volk oder Armee immer wieder berief. So beschwört
Otho (hist. 1,84) in seiner Ansprache an die Praetorianer die Dignität und Kontinui-
tät des Senates als Institution, aus der die Kaiser hervorgehen und die sich aus Auf-
steigern der Armee ergänzt. Hier wird das Bild eines Gemeinwesens entworfen, in
dem alles „mit rechten Dingen“ zugeht und das keine Privilegien kennt, die sich
Albrecht Dihle
Die zu fordernde charismatische Natur des Kaisers scheint in Suetons Augen
durch die entsprechende Abstammung zwar nicht garantiert, aber doch ange-
deutet zu sein. Das zeigt seine Erzählung der Karriere Vespasians. Offensicht-
lich mit vollem Verständnis für diese Maßnahme berichtet er, daß Vespasian
durch Nero mit dem wichtigen Kommando über die zur Niederwerfung des
jüdischen Aufstandes große Truppenmacht betraut worden sei, obwohl er beim
Kaiser in Ungnade gefallen war, ut et industriae expertae nec metuendus ullo modo
ob humilitatem generis et nominis (Vesp. 4,5). Seine Herkunft schließt Vespasian
in den Augen Neros von jeder ernsthaften Aspiration auf das Kaiseramt aus.
Andererseits wird lunius Silanus (ann. 13,1) auf Betreiben der Agrippina aus dem
Wege geräumt, obwohl er so träge und ohne Ehrgeiz ist, daß ihn Caligula das
goldene Rind nannte. Aber es gab vielfältige Stimmen im Volk, nach denen ein
vornehmer, unbescholtener Mann in gesetztem Alter, der noch dazu - quod tune
spectaretur - aus der kaiserlichen Familie stamme, dem jungen, aber schon durch
eine Untat belasteten Nero vorzuziehen sei. Dementsprechend muß Vespasian als
Gründer einer neuen Dynastie sein Charisma erst beweisen. Das tut er und gewinnt
dabei auctoritas und maiestas durch zwei öffentlich ausgefuhrte Heilungswunder in
Alexandrien, zu denen ihn seine Umgebung erst auffordern muß, weil er selbst an
ihre Möglichkeit nicht glaubt (Suet. Vesp. 7,2f.; Tac. hist. 4,81). Zu seiner Eignung
für das Herrscheramt gehört demnach eine objektiv vorhandene Qualität seiner
Natur, die nichts mit seinen sittlichen Verhaltensweisen und seinem damit zusam-
menhängenden Selbstbewußtsein zu tun hat (vgl. G. Alföldy, Röm. Gesellschaft
367f.).
Von diesem Sachverhalt fällt auch Licht auf das Verdikt, das Tacitus (hist. 1,49)
über Person und Laufbahn Galbas fällt: omnium consensu capax imperii nisi
imperasset. Seinem medium ingenium (ebd.) fehlte eben das Charisma des zum
Kaiser Geborenen, der nicht so sehr frei von Fehlern oder Lastern (extra vitia) als
vielmehr mit sehr bestimmten Vorzügen (cum virtutibus) ausgestattet sein muß.
Bei Galba war es umgekehrt.
Die an solchen Stellen sichtbar werdende Vorstellung vom charismatischen, die
bloße Menschennatur transzendierenden Charakter der Person des Kaisers ent-
sprach gewiß verbreiteten religiösen Auffassungen und ebenso der sakralen Über-
höhung des Kaisertums in Politik und Repräsentation. Sie widersprach hingegen
nicht nur der philosophischen Lehre περί βασιλείας in ihren verschiedenen literari-
schen Ausprägungen, sondern auch den staatsrechtlichen Konstruktionen, auf
denen das römische Kaisertum errichtet war und auf die man sich in öffentlichen
Kundgebungen vor Senat, Volk oder Armee immer wieder berief. So beschwört
Otho (hist. 1,84) in seiner Ansprache an die Praetorianer die Dignität und Kontinui-
tät des Senates als Institution, aus der die Kaiser hervorgehen und die sich aus Auf-
steigern der Armee ergänzt. Hier wird das Bild eines Gemeinwesens entworfen, in
dem alles „mit rechten Dingen“ zugeht und das keine Privilegien kennt, die sich