Albrecht Dihle
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gegengesetzten Lastern, in der politischen Publizistik der römischen Republik, also
unabhängig von der Tradition der Herrscherideologie, nachweisen (Wallace-Hadrill
152-56). Es handelt sich um die 4 Tugenden der clementia (φιλανθρωπία,
πραότης), liberalitas (έλευϋεριότης o. a.), civilitas (εύπροσηγορία u. ä.) und conti-
nentia (σωφροσύνη, έγκράτεια u. ä.). Sie treten schon früh auch unter anderen
Namen auf: So kann etwa die comitas sowohl für die clementia (Fronto p. 53,15 N;
Tac. ann. 2,72) als auch die civilitas (Plin. paneg. 71) stehen, civilis durch affabilis
ersetzt werden (Fronto p. 53, 7 N; Hist. Aug. Pert. 12,2) und moderatio (Veli.
Paterc. 2,129,3) oder mansuetudo (Val. Max. 6,2,11) für clementia und das erst im
2. Jh. n. C. üblich werdende civilitas eintreten.
Die ersten beiden der genannten 4 Tugenden gehören vor allem dem Träger des
herrscherlichen Charisma, das ihn über die gewöhnliche Menschennatur erhebt:
Omnia mortalia infra tuam magnitudinem iacent, läßt Tacitus (ann. 14, 54,1)
Seneca zu seinem kaiserlichen Zögling sagen. Der Herrscher erweist sich aus der
Fülle seiner unbegrenzten, unkontrollierten Macht als ständiger Wohltäter seiner
Untertanen, während der Tyrann, das Gegenbild des rechten Herrschers, diese
Macht nur zur grausamen Verfolgung wirklicher oder vermeintlicher Gegner und
zur Aufhäufung des eigenen Reichtums zu verwenden versteht. In der Ausübung
dieser Tugenden zeigt sich die natürliche oder sittliche Verwandtschaft des Herr-
schers mit den Göttern. Auch in deren Natur liegt es begründet, den ihnen unter-
geordneten und anvertrauten Menschen nichts als Gutes zu tun (Sen. ep. 95, 49).
Das ist ein alter Topos hellenistischer Herrscherideologie. Gerade seine clementia
im Umgang mit besiegten Gegnern und seine immense Freigiebigkeit hatten
gegenüber Caesar den Verdacht genährt, er betrachte sich als charismatischer
König östlichen Stiles (T. Adam, Clementia Principis, Stuttgart 1970, 84ff.; H.
Kloft, Eiberalitas Principis, Köln 1970, 48ff.; vgl. Caes. B. G. 2, 14,4; Cic. ad Att.
8,16).
Die dritte und vierte im „Kanon“ der Herrschertugenden erweist den Mon-
archen als den „Philosophen“, der unter den besonderen Bedingungen seines
Amtes und seiner Stellung sich um dieselben Ziele sittlicher Selbsterziehung
bemüht, wie es alle seine Mitmenschen auch tun sollten. Darum kann er ihnen
auch in den Alltäglichkeiten des hebens zum Vorbild werden (Plin. paneg. 83,1;
Cass. Dio 52, 34,2f. und schon Sen. dem. 1, 8,3f; Veil. Paterc. 2, 126,5). Während
der Tyrann hochmütig einen weiten Abstand zwischen sich und die von ihm
Beherrschten legt und seine Macht zur Befriedigung aller, auch der niedrigsten
Gelüste verwendet, unterwirft sich der gute Herrscher genau den auf die eigene Per-
son und auf die menschliche Gemeinschaft bezogenen Pflichten, denen jeder
Mensch nachzukommen hat. Darum preist Plinius in einem langen Abschnitt sei-
nes Panegyricus die Art und Weise, in der Trajan mit den Bürgern wie mit Seines-
gleichen verkehrt und sich denselben Gesetzen unterwirft wie sie, obwohl es doch
niemanden gibt, der dem Princeps Gesetze geben kann (s. o. S. 60). Sind clementia
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gegengesetzten Lastern, in der politischen Publizistik der römischen Republik, also
unabhängig von der Tradition der Herrscherideologie, nachweisen (Wallace-Hadrill
152-56). Es handelt sich um die 4 Tugenden der clementia (φιλανθρωπία,
πραότης), liberalitas (έλευϋεριότης o. a.), civilitas (εύπροσηγορία u. ä.) und conti-
nentia (σωφροσύνη, έγκράτεια u. ä.). Sie treten schon früh auch unter anderen
Namen auf: So kann etwa die comitas sowohl für die clementia (Fronto p. 53,15 N;
Tac. ann. 2,72) als auch die civilitas (Plin. paneg. 71) stehen, civilis durch affabilis
ersetzt werden (Fronto p. 53, 7 N; Hist. Aug. Pert. 12,2) und moderatio (Veli.
Paterc. 2,129,3) oder mansuetudo (Val. Max. 6,2,11) für clementia und das erst im
2. Jh. n. C. üblich werdende civilitas eintreten.
Die ersten beiden der genannten 4 Tugenden gehören vor allem dem Träger des
herrscherlichen Charisma, das ihn über die gewöhnliche Menschennatur erhebt:
Omnia mortalia infra tuam magnitudinem iacent, läßt Tacitus (ann. 14, 54,1)
Seneca zu seinem kaiserlichen Zögling sagen. Der Herrscher erweist sich aus der
Fülle seiner unbegrenzten, unkontrollierten Macht als ständiger Wohltäter seiner
Untertanen, während der Tyrann, das Gegenbild des rechten Herrschers, diese
Macht nur zur grausamen Verfolgung wirklicher oder vermeintlicher Gegner und
zur Aufhäufung des eigenen Reichtums zu verwenden versteht. In der Ausübung
dieser Tugenden zeigt sich die natürliche oder sittliche Verwandtschaft des Herr-
schers mit den Göttern. Auch in deren Natur liegt es begründet, den ihnen unter-
geordneten und anvertrauten Menschen nichts als Gutes zu tun (Sen. ep. 95, 49).
Das ist ein alter Topos hellenistischer Herrscherideologie. Gerade seine clementia
im Umgang mit besiegten Gegnern und seine immense Freigiebigkeit hatten
gegenüber Caesar den Verdacht genährt, er betrachte sich als charismatischer
König östlichen Stiles (T. Adam, Clementia Principis, Stuttgart 1970, 84ff.; H.
Kloft, Eiberalitas Principis, Köln 1970, 48ff.; vgl. Caes. B. G. 2, 14,4; Cic. ad Att.
8,16).
Die dritte und vierte im „Kanon“ der Herrschertugenden erweist den Mon-
archen als den „Philosophen“, der unter den besonderen Bedingungen seines
Amtes und seiner Stellung sich um dieselben Ziele sittlicher Selbsterziehung
bemüht, wie es alle seine Mitmenschen auch tun sollten. Darum kann er ihnen
auch in den Alltäglichkeiten des hebens zum Vorbild werden (Plin. paneg. 83,1;
Cass. Dio 52, 34,2f. und schon Sen. dem. 1, 8,3f; Veil. Paterc. 2, 126,5). Während
der Tyrann hochmütig einen weiten Abstand zwischen sich und die von ihm
Beherrschten legt und seine Macht zur Befriedigung aller, auch der niedrigsten
Gelüste verwendet, unterwirft sich der gute Herrscher genau den auf die eigene Per-
son und auf die menschliche Gemeinschaft bezogenen Pflichten, denen jeder
Mensch nachzukommen hat. Darum preist Plinius in einem langen Abschnitt sei-
nes Panegyricus die Art und Weise, in der Trajan mit den Bürgern wie mit Seines-
gleichen verkehrt und sich denselben Gesetzen unterwirft wie sie, obwohl es doch
niemanden gibt, der dem Princeps Gesetze geben kann (s. o. S. 60). Sind clementia