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Dihle, Albrecht; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Editor]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1986, 3. Abhandlung): Die Entstehung der historischen Biographie: vorgetragen am 26. Apr. 1986 — Heidelberg: Winter, 1987

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https://doi.org/10.11588/diglit.48146#0065
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Die Entstehung der historischen Biographie

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und liberalitas Tugenden, die nur der jeweils Höhergestellte ausüben kann, wes-
halb sie im Fall des Herrschers auf seine Gottähnlichkeit hinweisen, so zeigen ihn
civilitas und continentia als Mensch unter Menschen. Daß der Ausdruck civilitas
erst seit dem 2. Jh. n. C., nämlich zuerst bei Tacitus und Sueton, in diesem Zusam-
menhang vorkommt, ist nicht ohne Bedeutung (I. Lana, Att. Ac. Sc. Torino 106,
1972, 469ff.). Die Zurückweisung herrscherlicher Macht und die Ablehnung gött-
licher Ehren gehören schon sehr viel früher zum Zeremoniell des Kaisertums, in
dem seine moralischen Grundvorstellungen Ausdruck finden (J. Beranger, Recher-
ches sur l’aspect ideologique du principat, Bern 1953, 137ff). Auch die offizielle
Mißbilligung herrscherlicher Extravaganz ist ein alter Topos (Wallace-Hadrill 172
Anm. 47; 171). Aber geflissentlich betont die erneuerte Herrscherideologie die
„Bürgernähe“ des Kaisers, wie das am eindrucksvollsten im Panegyricus des jünge-
ren Plinius zum Ausdruck kommt. Civilis in der Bedeutung „wie ein Bürger sich
verhaltend, höflich, bescheiden, mit gebildeter Lebensart“ ist als Übersetzung des
griechischen Wortes πολιτικός, das seit hellenistischer Zeit in der gleichen Bedeu-
tung verwendet wird (F. Schotten, Zur Bedeutungsgeschichte des Adjektivs πολιτι-
κός, Diss. Köln 1966, 112ff), schon in ciceronischer Zeit gebräuchlich. Um so
bemerkenswerter ist, daß das dazugehörige Substantiv civilitas erst im 2. Jh.n. C.
und sogleich im Zusammenhang der Kaiserideologie auftaucht.
Das Adoptivkaisertum, wie es im Anschluß an den Sturz Domitians sich ent-
wickelte, brachte den Ausgleich bis dahin entgegengesetzter Auffassungen vom
Wesen der Monarchie und der Stellung des Herrschers. Dieser im ganzen 1. Jh. n.
C. nachweisbare Gegensatz war ein Faktor des politischen und sozialen Lebens und
die Quelle verschiedenster Gefahren für Bestand und Qualität der monarchischen
Ordnung. Mehrere Kaiser sind in ihrer persönlichen Entwicklung auf verschiedene
Weise an ihm gescheitert, viele der Besten in der Ober- und Bildungsschicht wur-
den durch ihn daran gehindert, ihren Frieden mit der etablierten Ordnung zu ma-
chen. Der neue ideologische Consensus hinsichtlich der Stellung der Person des
Kaisers in Kosmos und Menschenwelt wurde zur vielleicht wichtigsten Vorausset-
zung für die friedliche Spätblüte der griechisch-römischen Kultur im 2. Jh. n. C.
Insofern erwies er seine Tragfähigkeit, vermochte er auch Tacitus nicht zu überzeu-
gen. Aber die seltene Übereinstimmung zwischen Herrscher und Beherrschten,
insbesondere der Oberschicht der Beherrschten, die das Römerreich im 2. Jh. n. C.
auszeichnete, festigte die Monarchie hinsichtlich der Institutionen des Staates und
in der Vorstellungswelt der Menschen. Die Einsicht, daß letztlich der Wille des Kai-
sers zähle und allen übrigen Menschen nur das obsequium bleibe, konnte auch für
den republikanischer Tradition verpflichteten Senator oder den am philosophi-
schen Ideal der sittlich fundierten Unabhängigkeit orientierten Intellektuellen in
dem Maß den bitteren Beigeschmack verlieren, in dem die offizielle Ideologie dazu
einlud, den Träger dieser höchsten Macht auch in den politischen Kategorien des
Bürgers und den philosophisch-ethischen des Menschen zu betrachten. Mit der
 
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