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Albrecht Dihle
sakralen Überhöhung des Kaisertums und der Person des Kaisers stand das offen-
bar nicht mehr im Widerspruch, so wenig wie mit der Berufung auf den Diktator
Caesar.
Eine Historiographie, die in dem oben (S. 33 ff.) beschriebenen Sinn Geschichte
als Kaisergeschichte darzustellen suchte, konnte gerade unter den spezifischen
Bedingungen des nachdomitianischen Prinzipates unbedenklich die in der biogra-
phischen Tradition üblichen Kategorien der Beschreibung und Bewertung eines
Lebenslaufes, die nicht zur Erfassung geschichtlicher Ereignisse entwickelt worden
waren, für ihre Zwecke verwenden. Den Rekurs auf moralische oder charaktero-
logische Faktoren, wie sie ein Lebenslauf an den Tag bringt, hatte es in der
Geschichtsschreibung zur Erklärung einzelner Vorgänge schon lange gegeben.
Polybios etwa liefert die oben ausführlich erörterten Beispiele. Eben daraus erga-
ben sich von Fall zu Fall immer wieder Berührungen zwischen Biographie und
Historiographie. Unter den Bedingungen des Prinzipates aber, insbesondere des
nachdomitianischen mit seiner in vieler Hinsicht „verbürgerlichten“ Ideologie,
konnte die auf Erfassung moralischer Qualitäten angelegte Lebensbeschreibung
zur Form erklärender Darstellung einer ganzen Geschichtsperiode werden, wenn
sie den seit langem einzig anerkannten Träger politischer Entscheidung zur Titel-
figur hatte.
VI
Suetons Methode der Materialsammlung, -Ordnung und -darstellung ist die des
gelehrten Grammatikers und Antiquars, und in dieser Hinsicht unterscheiden sich
die Viri illustres grundsätzlich nicht von den Caesares, mögen diese auch viel aus-
führlicher geraten sein. In beiden Fällen geht es nicht um die Zeichnung eines
geschlossenen Lebensbildes als eines moralischen Phänomens, sondern darum,
daß alle Informationen über eine Person geordnet mitgeteilt werden, die für das
Gebiet, auf dem sie sich ausgezeichnet und zu dessen Entwicklung sie beigetragen
hat, wissenswert und von Bedeutung sind. Biographische Informationen dürfen
darunter nicht fehlen, denn es ist z. B. für die Geschichte der grammatischen
Studien in Rom nicht ohne Bedeutung, ob ein auf diesem Gebiet tätiger Freigelas-
sener sich der Anteilnahme seines Freilassers erfreuen konnte (Suet. de gramm. 6),
seit wann es Grammatiker ritterlichen Standes gab (ebd. 2f), welche Beziehungen
einzelne Grammatiker in ihrem Werdegang zu Nachbardisziplinen wie der Rhe-
torik, Jurisprudenz oder Philosophie unterhielten (ebd. 4; 6; 8; 10 u. ö.), aus
welchen Gegenden die verschiedenen Vertreter der Zunft stammten (ebd. 7; 8; 11;
19; 20 u. a.), welche Eigenschaften sie als Lehrer oder Kollegen zeigten (ebd. 7; 9; 10
u. a.), wie ihre Einkommensverhältnisse waren (9; 17) u. a. m.
Albrecht Dihle
sakralen Überhöhung des Kaisertums und der Person des Kaisers stand das offen-
bar nicht mehr im Widerspruch, so wenig wie mit der Berufung auf den Diktator
Caesar.
Eine Historiographie, die in dem oben (S. 33 ff.) beschriebenen Sinn Geschichte
als Kaisergeschichte darzustellen suchte, konnte gerade unter den spezifischen
Bedingungen des nachdomitianischen Prinzipates unbedenklich die in der biogra-
phischen Tradition üblichen Kategorien der Beschreibung und Bewertung eines
Lebenslaufes, die nicht zur Erfassung geschichtlicher Ereignisse entwickelt worden
waren, für ihre Zwecke verwenden. Den Rekurs auf moralische oder charaktero-
logische Faktoren, wie sie ein Lebenslauf an den Tag bringt, hatte es in der
Geschichtsschreibung zur Erklärung einzelner Vorgänge schon lange gegeben.
Polybios etwa liefert die oben ausführlich erörterten Beispiele. Eben daraus erga-
ben sich von Fall zu Fall immer wieder Berührungen zwischen Biographie und
Historiographie. Unter den Bedingungen des Prinzipates aber, insbesondere des
nachdomitianischen mit seiner in vieler Hinsicht „verbürgerlichten“ Ideologie,
konnte die auf Erfassung moralischer Qualitäten angelegte Lebensbeschreibung
zur Form erklärender Darstellung einer ganzen Geschichtsperiode werden, wenn
sie den seit langem einzig anerkannten Träger politischer Entscheidung zur Titel-
figur hatte.
VI
Suetons Methode der Materialsammlung, -Ordnung und -darstellung ist die des
gelehrten Grammatikers und Antiquars, und in dieser Hinsicht unterscheiden sich
die Viri illustres grundsätzlich nicht von den Caesares, mögen diese auch viel aus-
führlicher geraten sein. In beiden Fällen geht es nicht um die Zeichnung eines
geschlossenen Lebensbildes als eines moralischen Phänomens, sondern darum,
daß alle Informationen über eine Person geordnet mitgeteilt werden, die für das
Gebiet, auf dem sie sich ausgezeichnet und zu dessen Entwicklung sie beigetragen
hat, wissenswert und von Bedeutung sind. Biographische Informationen dürfen
darunter nicht fehlen, denn es ist z. B. für die Geschichte der grammatischen
Studien in Rom nicht ohne Bedeutung, ob ein auf diesem Gebiet tätiger Freigelas-
sener sich der Anteilnahme seines Freilassers erfreuen konnte (Suet. de gramm. 6),
seit wann es Grammatiker ritterlichen Standes gab (ebd. 2f), welche Beziehungen
einzelne Grammatiker in ihrem Werdegang zu Nachbardisziplinen wie der Rhe-
torik, Jurisprudenz oder Philosophie unterhielten (ebd. 4; 6; 8; 10 u. ö.), aus
welchen Gegenden die verschiedenen Vertreter der Zunft stammten (ebd. 7; 8; 11;
19; 20 u. a.), welche Eigenschaften sie als Lehrer oder Kollegen zeigten (ebd. 7; 9; 10
u. a.), wie ihre Einkommensverhältnisse waren (9; 17) u. a. m.