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Dihle, Albrecht; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1986, 3. Abhandlung): Die Entstehung der historischen Biographie: vorgetragen am 26. Apr. 1986 — Heidelberg: Winter, 1987

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https://doi.org/10.11588/diglit.48146#0067
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Die Entstehung der historischen Biographie

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Dasselbe Prinzip fuhrt, auf die Beschreibung der Kaiser angewandt, gleichfalls
nicht auf Biographien im Sinn Plutarchs, sondern auf die Sammlung und geordnete
Mitteilung biographischen Materials, das den Beitrag des einzelnen Kaisers zur
Gestaltung des römischen Staates und seinen Einfluß auf das Verhalten der von
ihm regierten Menschen illustriert und aus seinen Charaktereigenschaften erklärt.
Auf eben diesen Zweck, den Sueton offenbar bei der Abfassung der Caesares im
Auge hatte, wurde schon oben verwiesen (S. 43).
Ein solches Vorhaben erhielt unter den im letzten Kapitel geschilderten Voraus-
setzungen, die sich aus der monarchischen Ordnung des Reiches und der ent-
sprechenden Vorstellungswelt seiner Bewohner ergaben, wie von selbst historio-
graphische Bedeutung. Tätigkeit und Wirkung eines Herrschers entfalteten sich auf
einem ungleich größeren Feld als die des Grammatikers oder Bildhauers, biogra-
phische Details und Einsichten in die Persönlichkeitsstruktur hatten also auch in
viel größerem Umfang und zahlreicheren Hinsichten für das betroffene Sachgebiet,
nämlich die Zustände in Staat und Volk des Römerreiches, eine Bedeutung. Die
Annäherung zwischen biographischer und antiquarischer Schriftstellerei einerseits
und Historiographie andererseits ist unübersehbar, denn zwei Dinge trafen unter
den besonderen Bedingungen des frühen 2. Jh. n. C. zusammen. Hierfür nur ein
Beispiel:
Sueton verzeichnet sorgfältig alle Vorzeichen, die den Kaisern, vor allem vor der
Thronbesteigung und vor ihrem Tod, aber auch bei anderer Gelegenheit, zuteil
wurden und auf den Lauf verwiesen, den ihr Leben nehmen würde. Das ist ein
durchaus biographisches Element der Darstellung. Vorzeichen zu registrieren war
aber seit alters auch Aufgabe der Historiographie, denn sie zeigten das Verhältnis
der res publica zu den Göttern an, und die gleichfalls sorgfältig berichteten rituellen
Handlungen, mit denen drohendes, durch die Vorzeichen angedeutetes Unheil
abgewendet werden sollte, gehörten ebenso zum Stoff des Geschichtsschreibers.
Im Prinzipat hing das Wohl der res publica am Tun und Leiden des Kaisers, wes-
halb die vom Kaiserbiographen berichteten Vorzeichen politisch-historische
Bedeutung erlangten. Augenfällig wird das z. B. im 95. und 96. Kapitel der
Augustus-Vita Suetons.
Auch die aus seiner besonderen Wesensart entspringenden Maßnahmen des
jeweils regierenden Kaisers, welche die Geschicke, die Einrichtungen und die
Moral des römischen Gemeinwesens bestimmten, galten nunmehr als die res
gestae populi Romani, die zu schildern traditionelle Aufgabe der Geschichtsschrei-
bung war. Die Annalen des Tacitus bezeugen auf jeder Seite diese neue Definition
der Aufgabe des Historikers. Diesem Umstand gilt seine bittere Bemerkung, daß er
ein beengendes, wenig Ruhm verheißendes Thema zu behandeln habe (nobis in
arto et inglorius labor), das in traurigem Gegensatz zu den großen Schlachten oder
Senatsdebatten republikanischer Zeit stehe. Und in der Tat passen viele Einzel-
heiten geringen Gewichtes (primo aspectu levia), von denen die Annalen voll sind,
 
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