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Albrecht Dihle
eher in eine antiquarische oder sittengeschichtliche als in eine historiographische
Darstellung, sind also Sueton eher angemessen als Tacitus.
Zum anderen lud die Neuorientierung des Herrscherideals im Anschluß an den
Sturz Domitians und der flavischen Dynastie zweifellos dazu ein, die Person eines
Kaisers nach neuen, genaueren und die Forderungen philosophischer Ethik
berücksichtigenden Kategorien zu erfassen. Diese Einladung erging an den Histo-
riker ebenso wie an den Biographen, der an moralischen Exempla interessiert war,
aber auch an den Gelehrten vom Schlage Suetons, dem es um die Einwirkung ging,
welche die Person des Kaisers auf Sitten, Einrichtungen, Gewohnheiten und Vor-
stellungen in Staat und Volk ausübte.
Es läßt sich also, unbeschadet aller mit der Tradition der Gattungen vorgegebe-
nen Unterschiede, z. B. in der Höhe des Stiles, eine deutliche Konvergenz in der
Aufgabenstellung historiographischer und gelehrter, sei es biographischer oder
grammatisch-staatskundlicher Literatur beobachten. Man kann diesen Sachverhalt
auch derart beschreiben, daß beide, die historiographische und die gelehrt-
grammatische Literatur das jeher ihnen innewohnende biographische Element
unter den Bedingungen der Kaiserzeit verstärkte, das Feld ihrer Konvergenz also im
Biographischen lag. Das zeigen die Caesares Suetons und die Annalen des Tacitus
auf das deutlichste.
Die Verschmelzung biographischer und historiographischer Betrachtungs-
weisen unter den besonderen Bedingungen der hohen Kaiserzeit haben wir bisher
vor allem als Phänomen der lateinischen Literaturgeschichte betrachtet, das am
Werk Suetons besonders deutlich wird (vgl. P. Treves [ed.], Suetonio, Vite dei
Cesari, Milano 1962 praef.). Es läßt sich indessen auch auf griechischer Seite nach-
weisen. So zeigt Cesare Questa (Studi Urbinati di Storia, Filosofia e Letteratura 31,
1957, 52 ff.), daß Cassius Dio die Kaisergeschichte in den Büchern 53-62 auf weite
Strecken nach biographischem Schema bearbeitet hat. Die Querverbindungen
zwischen der lateinischen und der griechischen Geschichtsdarstellung der Kaiser-
zeit sind mehrfach bezeugt, etwa durch die parallelen Aussagen bei Tacitus (hist.
1,1) und Cassius Dio (53,19) über die Undurchschaubarkeit kaiserlicher Kabinetts-
politik oder die Parallelen zwischen Plutarchs Viten des Dreikaiserjahres und die
Darstellung derselben Ereignisse in den Historien des Tacitus. Dabei läßt sich
gerade im ersten dieser beiden Fälle eine direkte Entlehnung mit Sicherheit aus-
schließen, was auf die Verwendung derselben Quellen führt.
Ob etwa Plutarchs Kaiserviten ihrerseits der späteren Kaisergeschichte in grie-
chischer Sprache als Quelle oder Vorbild dienten, wie man vermutet hat, läßt sich
nicht mehr bestimmen. In byzantinischer Zeit jedenfalls war die Gepflogenheit,
gerade die anspruchsvolle Geschichtsschreibung - im Gegensatz zur Chronogra-
phie - als Kaisergeschichte zu konzipieren und nach den Regierungsperioden zu
gliedern, sehr weit verbreitet. Das ist um so auffälliger, als sich Autoren wie Michael
Psellos oder Anna Komnena im übrigen durchaus am Vorbild der im engeren Sinn
Albrecht Dihle
eher in eine antiquarische oder sittengeschichtliche als in eine historiographische
Darstellung, sind also Sueton eher angemessen als Tacitus.
Zum anderen lud die Neuorientierung des Herrscherideals im Anschluß an den
Sturz Domitians und der flavischen Dynastie zweifellos dazu ein, die Person eines
Kaisers nach neuen, genaueren und die Forderungen philosophischer Ethik
berücksichtigenden Kategorien zu erfassen. Diese Einladung erging an den Histo-
riker ebenso wie an den Biographen, der an moralischen Exempla interessiert war,
aber auch an den Gelehrten vom Schlage Suetons, dem es um die Einwirkung ging,
welche die Person des Kaisers auf Sitten, Einrichtungen, Gewohnheiten und Vor-
stellungen in Staat und Volk ausübte.
Es läßt sich also, unbeschadet aller mit der Tradition der Gattungen vorgegebe-
nen Unterschiede, z. B. in der Höhe des Stiles, eine deutliche Konvergenz in der
Aufgabenstellung historiographischer und gelehrter, sei es biographischer oder
grammatisch-staatskundlicher Literatur beobachten. Man kann diesen Sachverhalt
auch derart beschreiben, daß beide, die historiographische und die gelehrt-
grammatische Literatur das jeher ihnen innewohnende biographische Element
unter den Bedingungen der Kaiserzeit verstärkte, das Feld ihrer Konvergenz also im
Biographischen lag. Das zeigen die Caesares Suetons und die Annalen des Tacitus
auf das deutlichste.
Die Verschmelzung biographischer und historiographischer Betrachtungs-
weisen unter den besonderen Bedingungen der hohen Kaiserzeit haben wir bisher
vor allem als Phänomen der lateinischen Literaturgeschichte betrachtet, das am
Werk Suetons besonders deutlich wird (vgl. P. Treves [ed.], Suetonio, Vite dei
Cesari, Milano 1962 praef.). Es läßt sich indessen auch auf griechischer Seite nach-
weisen. So zeigt Cesare Questa (Studi Urbinati di Storia, Filosofia e Letteratura 31,
1957, 52 ff.), daß Cassius Dio die Kaisergeschichte in den Büchern 53-62 auf weite
Strecken nach biographischem Schema bearbeitet hat. Die Querverbindungen
zwischen der lateinischen und der griechischen Geschichtsdarstellung der Kaiser-
zeit sind mehrfach bezeugt, etwa durch die parallelen Aussagen bei Tacitus (hist.
1,1) und Cassius Dio (53,19) über die Undurchschaubarkeit kaiserlicher Kabinetts-
politik oder die Parallelen zwischen Plutarchs Viten des Dreikaiserjahres und die
Darstellung derselben Ereignisse in den Historien des Tacitus. Dabei läßt sich
gerade im ersten dieser beiden Fälle eine direkte Entlehnung mit Sicherheit aus-
schließen, was auf die Verwendung derselben Quellen führt.
Ob etwa Plutarchs Kaiserviten ihrerseits der späteren Kaisergeschichte in grie-
chischer Sprache als Quelle oder Vorbild dienten, wie man vermutet hat, läßt sich
nicht mehr bestimmen. In byzantinischer Zeit jedenfalls war die Gepflogenheit,
gerade die anspruchsvolle Geschichtsschreibung - im Gegensatz zur Chronogra-
phie - als Kaisergeschichte zu konzipieren und nach den Regierungsperioden zu
gliedern, sehr weit verbreitet. Das ist um so auffälliger, als sich Autoren wie Michael
Psellos oder Anna Komnena im übrigen durchaus am Vorbild der im engeren Sinn