Die Entstehung der historischen Biographie
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klassischen griechischen Geschichtsschreibung zu orientieren suchen. Daß aber
der Typus der Kaisergeschichte, der zu dieser Tradition so wenig paßt, schon im
3. Jh. n. C. in der Osthälfte des Reiches eingebürgert war, lehrt außer Cassius Dio
auch Herodian.
Herodian kündigt im Vorwort seines Werkes an, über die selbst erlebten Jahre
zwischen dem Tod des Marcus und dem Regierungsantritt Gordians III. κατά
χρόνους και δυναστείας (1,6) zu berichten. Tacitus hatte noch die Regierungszeiten
der Kaiser, die Jahreszählung und die Bucheinteilung seiner historischen Werke in
ein kunstvoll ausbalanciertes Verhältnis gebracht und auf diese Weise weder das
durch altrömische Tradition sanktionierte annalistische Schema aufgegeben, noch
die Regierungsperioden der einzelnen Herrscher allzu aufdringlich und ausschließ-
lich zum Einteilungsprinzip erhoben. Ammianus Marcellinus, derselben Tradition
im bewußten Anschluß an seinen großen Vorgänger verpflichtet, vermied es gleich-
falls, Regierungszeiten zum Gliederungsprinzip seiner Darstellung zu erheben. Er
datiert nach Consulatsjahren und tadelt, wie oben erwähnt (S. 34 f.), die ganz auf den
jeweils regierenden Kaiser bezogene Historiographie. Herodian wollte durchaus ein
Vertreter großer, stilistisch anspruchsvoller Geschichtsschreibung sein und hat des-
halb sein Werk, ganz wie die beiden vorgenannten Repräsentanten dieser Gattung
auf römischer Seite, mit dem Apparat dieser Tradition wie Reden, geographischen
Exkursen, Schlachtbeschreibungen u. dgl. ausgeschmückt. Trotzdem bildete für
ihn das individuelle Handeln der einzelnen Kaiser den eigentlichen Gegenstand der
Darstellung, und zwar durchaus nicht in panegyrischer Absicht, und darin unter-
scheidet er sich nicht von Marius Maximus oder dem Verfasser der Historia
Augusta.
Im Vorwort erklärt Herodian, daß die 60 von ihm dargestellten Jahre eine uner-
wartet hohe Anzahl regierender Kaiser gesehen hätten und er eben deshalb so viel-
fältige Ereignisse zu berichten habe (l,4f). Hier darf dann sogar der aus Thukydides
1,23 stammende Topos von der Häufigkeit der Seuchen und Erdbeben nicht fehlen,
den auch Tacitus im Proömium der Historien heranzieht, der aber mit der Vielzahl
der Regenten nicht das mindeste zu tun hat. Das Motiv der besonderen Vielfalt der
zu behandelnden Ereignisse fuhrt Herodian dann am Schluß des Vorwortes noch
weiter aus: Von jenen Kaisern seien einige mit der Erfahrung höheren Lebensalters,
andere aber ganz jung auf den Thron gekommen. Die einen hätten darum sich und
die Untertanen mit der gebotenen Gewissenhaftigkeit beherrscht, den anderen
habe dagegen in der jugendlichen Leichtfertigkeit ihrer Lebensführung der Sinn
nur auf Neuerungen gestanden. Διόπερ εικότως έν ήλικίαις τε και έξουσίαις δια-
φόροις ούχ όμοια γέγονε τα έπιτηδεϋματα. Die geschichtlichen Ereignisse werden
also vornehmlich als Taten der Kaiser verstanden und in ihrer Vielfalt aus deren
unterschiedlichen persönlichen Eigenschaften erklärt.
Herodian entwickelt damit eine gleichsam suetonische Analyse der geschicht-
lichen Wirklichkeit. Der von Tacitus gerade im Hinblick auf die Geschichtsschrei-
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klassischen griechischen Geschichtsschreibung zu orientieren suchen. Daß aber
der Typus der Kaisergeschichte, der zu dieser Tradition so wenig paßt, schon im
3. Jh. n. C. in der Osthälfte des Reiches eingebürgert war, lehrt außer Cassius Dio
auch Herodian.
Herodian kündigt im Vorwort seines Werkes an, über die selbst erlebten Jahre
zwischen dem Tod des Marcus und dem Regierungsantritt Gordians III. κατά
χρόνους και δυναστείας (1,6) zu berichten. Tacitus hatte noch die Regierungszeiten
der Kaiser, die Jahreszählung und die Bucheinteilung seiner historischen Werke in
ein kunstvoll ausbalanciertes Verhältnis gebracht und auf diese Weise weder das
durch altrömische Tradition sanktionierte annalistische Schema aufgegeben, noch
die Regierungsperioden der einzelnen Herrscher allzu aufdringlich und ausschließ-
lich zum Einteilungsprinzip erhoben. Ammianus Marcellinus, derselben Tradition
im bewußten Anschluß an seinen großen Vorgänger verpflichtet, vermied es gleich-
falls, Regierungszeiten zum Gliederungsprinzip seiner Darstellung zu erheben. Er
datiert nach Consulatsjahren und tadelt, wie oben erwähnt (S. 34 f.), die ganz auf den
jeweils regierenden Kaiser bezogene Historiographie. Herodian wollte durchaus ein
Vertreter großer, stilistisch anspruchsvoller Geschichtsschreibung sein und hat des-
halb sein Werk, ganz wie die beiden vorgenannten Repräsentanten dieser Gattung
auf römischer Seite, mit dem Apparat dieser Tradition wie Reden, geographischen
Exkursen, Schlachtbeschreibungen u. dgl. ausgeschmückt. Trotzdem bildete für
ihn das individuelle Handeln der einzelnen Kaiser den eigentlichen Gegenstand der
Darstellung, und zwar durchaus nicht in panegyrischer Absicht, und darin unter-
scheidet er sich nicht von Marius Maximus oder dem Verfasser der Historia
Augusta.
Im Vorwort erklärt Herodian, daß die 60 von ihm dargestellten Jahre eine uner-
wartet hohe Anzahl regierender Kaiser gesehen hätten und er eben deshalb so viel-
fältige Ereignisse zu berichten habe (l,4f). Hier darf dann sogar der aus Thukydides
1,23 stammende Topos von der Häufigkeit der Seuchen und Erdbeben nicht fehlen,
den auch Tacitus im Proömium der Historien heranzieht, der aber mit der Vielzahl
der Regenten nicht das mindeste zu tun hat. Das Motiv der besonderen Vielfalt der
zu behandelnden Ereignisse fuhrt Herodian dann am Schluß des Vorwortes noch
weiter aus: Von jenen Kaisern seien einige mit der Erfahrung höheren Lebensalters,
andere aber ganz jung auf den Thron gekommen. Die einen hätten darum sich und
die Untertanen mit der gebotenen Gewissenhaftigkeit beherrscht, den anderen
habe dagegen in der jugendlichen Leichtfertigkeit ihrer Lebensführung der Sinn
nur auf Neuerungen gestanden. Διόπερ εικότως έν ήλικίαις τε και έξουσίαις δια-
φόροις ούχ όμοια γέγονε τα έπιτηδεϋματα. Die geschichtlichen Ereignisse werden
also vornehmlich als Taten der Kaiser verstanden und in ihrer Vielfalt aus deren
unterschiedlichen persönlichen Eigenschaften erklärt.
Herodian entwickelt damit eine gleichsam suetonische Analyse der geschicht-
lichen Wirklichkeit. Der von Tacitus gerade im Hinblick auf die Geschichtsschrei-