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Lienhard, Marc; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Editor]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1986, 4. Abhandlung): Zwischen Gott und König: Situation und Verhalten der französischen Protestanten nach der Aufhebung des Edikts von Nantes; vorgetragen am 13. Dezember 1985 — Heidelberg: Winter, 1986

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https://doi.org/10.11588/diglit.48147#0024
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22

Marc Lienhard

Persönliche entzieht sich immer der Beobachtung und in der betref-
fenden Zeit war es natürlich geraten, sich nach außen hin abzuschir-
men. Und doch gibt es eine gewisse Anzahl von Quellen, auf die sich
die Forschung stützen kann. Eindeutig fest steht die Rolle der Bibel in
der Frömmigkeit der N. C. Bei Hausuntersuchungen wurden immer
wieder Bibeln oder Teile von Bibeln aufgestöbert und beschlagnahmt.
Ein anderes Symptom für den Umgang mit der Bibel ist die Art und
Weise wie die Hugenotten, auch diejenigen, die nach 1685 geboren
sind, mit der Bibel argumentierten und aus ihr lebten, ja sozusagen die
biblischen Taten in ihrer eigenen Geschichte wiederholten: Auszug
aus Babylon, Kampf gegen den Götzendienst oder gegen den Anti-
christen. In erstaunlichem Maß war ihre Sprache eine biblische
Sprache. Man hat die Reden von Isabeau Vincent, einer 16-jährigen
»Prophetin«, untersucht, die nicht lesekundig war und die Bibel nur
vom Hören her kannte. Ihre Reden waren durch biblische Zitate durch
und durch getränkt und nahmen die Verkündigung wieder auf, die sie
durch die Pfarrer vor 1685 gehört hatte.22
Die Bibel wurde in der Familie gelesen. Ihre Wichtigkeit für die
Hugenotten wurde auch von katholischer Seite her anerkannt, sodaß
sogar der Versuch gemacht wurde, eine andere Übersetzung einzu-
schleußen, in welcher durch einige Zusätze die katholische Lehre
unterstützt wurde.23
Der Rahmen für das Bibellesen war die Familie. Im selben Raum
wurde auch gebetet. Auch hier findet der Historiker einige Quellen,
natürlich Zeugnisse der Betroffenen, aber auch Gerichtsquellen: so
wird 1698 in Orleans ein gewisser Sieur Fleuri drei Jahre verbannt
»pour avoir prie en famille«.24 Gebetet und gesungen wurden vor allem
die Psalmen. Benützt wurden aber auch Gebetsbücher, die vom Aus-
land geschickt wurden. Besonders verbreitet war eine »Liturgie
veritable pour les chretiens prives de pasteurs«. Zahlreiche andere
Schriften wurden vom Ausland ins Land eingeschleust, von denen
noch die Rede sein wird.
Etwas besser sind wir über die kleinen Versammlungen unterrich-
tet, die über die Familie hinaus einige andere Hugenotten dazugezo-
gen haben. Insofern sie entdeckt wurden (oder angezeigt) gibt es dafür
22 Ph. Joutard, Les Camisards (Archives), Paris, 1976, S. 80ff.
23 Siehe dazu Orcibal, op. cit., S. 134. Kritisch zu dieser Übersetzung schon der Zeit-
genosse und evangelische Pfarrer Claude Brousson in seiner Schrift Remarques sur
la traduction du Nouveau Testament falte parl’ordre du Clerge de France, Delft, 1697.
24 BSHPF XXXII (1883), S. 560.
 
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