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Lienhard, Marc; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1986, 4. Abhandlung): Zwischen Gott und König: Situation und Verhalten der französischen Protestanten nach der Aufhebung des Edikts von Nantes; vorgetragen am 13. Dezember 1985 — Heidelberg: Winter, 1986

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https://doi.org/10.11588/diglit.48147#0016
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Marc Lienhard

I. Die verschiedenen Haltungen der Protestanten
Als das Edikt von Nantes aufgehoben wurde, gab es im Lande noch
ca. 800.000 Protestanten auf 20 Millionen Franzosen. Auch diejeni-
gen, die durch die Dragonaden abgeschworen hatten, sind in den
meisten Fällen, u.a. in Südfrankreich, wo sie nicht vereinzelt sondern
gruppiert lebten, noch dazuzurechnen. Die meisten haben nicht ernst-
haft daran gedacht, auf die Dauer katholisch zu werden. Mit der Auf-
hebung des Edikts war aber eine neue Situation geschaffen. Damit war
es klar geworden, daß die Unterdrückung der Protestanten wirklich
dem Willen des Königs entsprach, und daß man es nicht mit vorüber-
gehenden, lokalen Schikanen zu tun hatte. Die entscheidende Stunde
hatte geschlagen, wenn auch in den nachfolgenden Jahren die Hoff-
nung nie ganz aufgegeben wurde, daß eines Tages wieder Glaubens-
freiheit herrschen würde. Erschwerend kam für die evangelischen
Gläubigen hinzu, daß sie von ihren Pfarrern allein gelassen wurden.
Von den ca. 800 Pfarrern haben 140 dem evangelischen Glauben abge-
schworen, 681 haben das Land verlassen.0 Nur eine Handvoll ist
geblieben oder aus der Fremde wieder zurückgekehrt, um ihren Glau-
bensbrüdern beizustehen.
Seit Jahrzehnten, ja seit 150 Jahren war den Hugenotten eingeprägt
worden, die katholische Messe sei Idolatrie, so verwerflich wie der
Götzendienst, gegen den sich die alttestamentlichen Propheten ge-
richtet hatten. Wir, die in einem ökumenischen Zeitalter leben, haben
Mühe, jene Härte des Widerspruchs und der Ablehnung zu verstehen.
Darüber hinaus ist zu bedenken - ich komme später noch darauf
zurück - daß die Religion der Hugenotten nicht nur Religion war im
modernen Sinn des Wortes, das heißt etwas Intimes, Innerliches, Indi-
viduelles, sondern daß sie den ganzen Menschen bestimmte, in seinen
sozialen Verflechtungen, in seinem Familienleben, in seiner Sprache
(von der Bibel geprägt), in seiner Vorstellungswelt. Dies alles sollte
nun von einem Tag auf den andern jäh zerstört werden!
Wie haben die Protestanten sich nun demgegenüber verhalten?
Man wird drei Haltungen unterscheiden müssen: 1) die Flucht, 2) den
Widerstand, 3) die Bekehrung.

Die genauen Zahlen bei Mours, Les pasteurs ä la revocation de l’edit de Nantes,
Bulletin de la Societe d’Histoire du protestantisme franfais (im folgenden BSHPF)
CXIV (1968), S. 67-105; 192-316.
 
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