Metadaten

Lienhard, Marc; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1986, 4. Abhandlung): Zwischen Gott und König: Situation und Verhalten der französischen Protestanten nach der Aufhebung des Edikts von Nantes; vorgetragen am 13. Dezember 1985 — Heidelberg: Winter, 1986

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.48147#0053
Lizenz: Freier Zugang - alle Rechte vorbehalten
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Zwischen Gott und König

51

len zwischen der religiösen Indifferenz, die im 18. Jahrhundert in
Frankreich um sich greift, und den Zwangskonversionen der Hugenot-
ten. Gemeint ist damit zunächst daß die unechten Konversionen und
die benützten Methoden ganze Gegenden zur religiösen Gleichgültig-
keit, ja zur Ablehnung geführt haben, jedenfalls zur Verachtung der
Kirche. Wenn jemand zwischen zwei Dragonern zur Kommunion
gezerrt wurde, mußte sich der so gezwungene Konvertit (aber auch die
altkatholischen Gläubigen) fragen, ob die Verfolger, die so handelten,
wirklich an das glaubten, was man die Betroffenen gewaltsam herun-
terschlucken ließ. Psychologisch hätten sich die Zwangskonversionen
etwa so ausgewirkt: die Hugenotten haben sich äußerlich - in den mei-
sten Fällen - den „abgöttischen“ Riten unterzogen, zu denen sie
gezwungen wurden. Innerlich aber waren sie aufgewühlt, ja verzwei-
felt. Diese Verzweiflung hat sich auf zwei Weisen geäußert: entweder
auf irrationale Art durch das Phänomen der Inspiration und des Illumi-
nismus. Das war besonders der Fall in den Gebieten, wo der Protestan-
tismus stark vertreten war (Cevennen) und hat zum Camisardenauf-
stand geführt.
Der andere Ausweg war die Gleichgültigkeit. Die Verzweiflung
führte zum Unglauben, insofern der Angefochtene nach Möglichkei-
ten Ausschau hielt, um von seiner Qual loszukommen. So wurden die
Menschen empfänglich für die Ideen der Aufklärung, die in Frank-
reich, im Unterschied etwa zu Deutschland und England, stark antikle-
rikal ausgerichtet war.
Man darf nicht vergessen, daß im 18. Jahrhundert die »Assemblees
du clerge« auf der strikten Einhaltung der Gesetzgebung gegen die
Protestanten bestanden. Unter Ludwig XV. gelang es dem »parti
devot«, die Liberalisierung aufzuhalten, die erst 1787 durch das Edit de
Tolerance auf der Ebene des Gesetzes ihren Niederschlag fand.
Unter diesen Umständen ist es nicht verwunderlich, daß der Kampf
der Aufklärung sich in Frankreich weitgehend gegen die Macht der
katholischen Kirche gerichtet hat und die Protestanten verteidigte (so
z.B. Voltaire in der Affaire Calas, 1762). So entstand ein Antiklerikalis-
mus, der sich in der französischen Revolution entladen hat und bis
heute noch fortwirkt.
 
Annotationen
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften