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Hommel, Hildebrecht; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Editor]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1986, 5. Abhandlung): Symmetrie im Spiegel der Antike: vorgetragen am 7. Juni 1986 — Heidelberg: Winter, 1987

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https://doi.org/10.11588/diglit.48148#0049
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Symmetrie im Spiegel der Antike

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die Sprache der Römer besonders aufgeschlossen ist, im Gegensatz
zum Griechischen69. Im Deutschen hat man es bloß mit Mühe ent-
decken können, wenn man von kurzen Wörtern wie neBen oder 0H0
absieht, wobei schon auffällt, daß die Mittelachse bei uns gern hervor-
gehoben wird, was im Lateinischen seltener der Fall ist. Beim kuKuk
müssen wir bereits orthographisch etwas mogeln, ebenso wenn wir
den hebräischen Namen naTan ohne h schreiben. Entgegen kommen
uns Familiennamen wie reGer oder Vornamen wie otto oder anna,
denen beiden allerdings die Mittelachse fehlt. Kompliziertere Gebilde
wie reliefPfeiler und markTkram haben einem Philosophen wie
Schopenhauer bereits viel Mühe gekostet, sie zu erfinden, und schon
eine gewisse Genialität verraten Sätze wie das nicht eben geistreiche,
aber immerhin einen Sinn gebende Produkt eines unbekannten Ver-
fassers (hinter dem man einfachheitshalber ebenfalls Schopenhauer
vermutet hat) ein neger mit gazette70 zagt im regen nie.
Aber mit dem so beweglichen Instrument der lateinischen Sprache
(mit der man nach einem verbreiteten Wort spielen kann wie mit einer
Katze) hat man bei der Erfindung solch streng symmetrischer Gebilde
wahre Meisterleistungen vollbracht. Das geht von der knappen Mah-
nung aures serva ‘hüte deine Ohren’ über das heute so beliebte ‘Recht
zur Selbstverwirklichung’, lateinisch knapp ius sui genannt, zu einer
Unzahl von Sätzen, die sich zugleich als regelrechte Hexameter
(manchmal auch Pentameter) erweisen, wovon hier nur ein paar zitiert
seien. So das Klagelied einer Lichtmücke (mit einem leichten metri-
schen Schönheitsfehler), in girum imus nocte et consumimur igni ‘wir
geraten in den Lichtkreis und werden vom Feuer verzehrt’. Oder die
tiefsinnige Apostrophierung des Sündenfalls sumitis a vetitis, sitit is,
sitit eva, sitimus ‘Ihr pflückt von Verbotenem, er - nämlich Adam -
dürstet (danach), es dürstet Eva, wir (alle) dürsten’. Freilich sind die
meisten dieser geistreichen Sprüche erst in neuerer Zeit entstanden.
So hat z. B. an der Wende vom Mittelalter zur Neuzeit ein polnischer
Gelehrter Johannes a Lasco seinem Landesherrn, dem schwedischen
Herzog Karl von Södermanland, ein langes Gedicht gewidmet, aus
69 Eine beachtliche Ausnahme aus byzantinischer Zeit findet sich am Löwenbecken
im Vorhof der Hagia Sophia in Konstantinopel:
ΝΙΨΟΝ ΑΝΟΜΗΜΑΤΑ MH MONAN ΟΨΙΝ
Wasch deine Sünden ab, nicht bloß das Gesicht!
70 Varia lectio: gazelle, doch ist die Lesart gazette als immerhin noch etwas sinnvoller
vorzuziehen. - Weitere deutsche Beispiele bei Hans Weis, Deutsche Sprachspiele-
reien. 2. Auf], 1942, S. 31 f.
 
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