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Wolf, Joseph Georg; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1988, 2. Abhandlung): Das Senatusconsultum Silanianum und die Senatsrede des C. Cassius Longinus aus dem Jahre 61 n. Chr.: vorgetragen am 17. Jan. 1987 — Heidelberg: Winter, 1988

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https://doi.org/10.11588/diglit.48153#0038
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Joseph Georg Wolf

die Hinrichtung Unschuldiger Unrecht sei. Cassius bestreitet nicht das factum131;
er räumt vielmehr ein, daß ‘einige’ Unschuldige getötet würden. Cassius bestrei-
tet aber das Unrecht dieser Tat. Der Fall ist eine causa des genus rationale132, der
status der Streitfrage die qualitas assumptiva. Der status qualitatis133 liegt stets
dann vor, wenn die inkriminierte Tat nicht bestritten, aber der Versuch unter-
nommen wird, sie zu rechtfertigen: im status qualitatis geht es um die rechtliche
Qualität einer unbestrittenen Tat, um ihre Qualifizierung als gerecht oder unge-
recht. Wenn die Tat an sich verwerflich ist und darum nicht aus sich selbst
gerechtfertigt werden kann, sondern zu ihrer ausnahmsweisen Rechtfertigung
Umstände ‘von außen herangezogen’ werden müssen, ist der Unterfall der quali-
tas assumptiva gegeben.134 Diese Art der Rechtfertigung kann auf verschiedene
Weise geschehen; eine ist die comparatio oder compensatio.135 Sie besteht darin,
das Unrecht der Tat mit dem Nutzen zu vergleichen, den sie der Gesamtheit
bringt, wobei es sich versteht, daß der gemeine Nutzen der Tat das Unrecht, das
mit ihr geschieht, jedenfalls aufwiegt.136 137 Cassius hat in seiner Rede den Nutzen
der Strafaktion, die Sicherheit gegen Anschläge der eigenen Sklaven, nach allen
Regeln der Kunst beschworen. Jetzt vergleicht er diesen Nutzen mit dem Unrecht
der Strafaktion. Als Beweis des Vorrangs der publica utilitas dient ihm ein histori-
sches exemplum132', die Heeresdezimierung. Die conclusio formuliert er im
Schlußsatz wirkungsvoll als Sentenz.138

131 Modellfall auch der Statuslehre ist die Gerichtsrede (Lausberg §§79 ff.) und vor
Gericht geht es immer um eine geschehene Tat, um ein factum (Lausberg §84).
Gegenstand der Beratungsrede ist dagegen stets eine zukünftige Handlung (Laus-
berg § 224). Die für das genus iudiciale entwickelten Kategorien werden jedoch auf
das genus deliberativum analog angewandt (Lausberg §§83, 94, 182, 236).
132 Zu dieser Unterteilung Lausberg §§ 141, 148 f.; Martin 29 f.; Fuhrmann 103.
133 Lausberg §§ 123ff., 171 ff.; Martin 36ff.; Fuhrmann 106.
134 Lausberg §177; Martin 38f.; Fuhrmann 106. Quint, inst. 7.4.7: Alterum est
defensionis genus, in quo factum per inprobabile adsumptis extrinsecus auxiliis tue-
mur: . .. adsumptiva enim dicitur causa.
135 Lausberg § 181; Martin 39f.; Fuhrmann 108.
136 Quint, inst. 7.4.9: est et illa ex causis facti ducta defensio ..., in qua neque factum
ipsum per se, ut in absoluta quaestione, defenditur, neque ex contrario facto, sed in
aliqua utilitate aut rei publicae aut hominum multorum aut ipsius adversarii ...
Victorinus in Cic. inv. 1.11: Videamus nunc, quae sit de his quattuor assumptionibus
fortior assumptio. Primo debet dicere, feci; sed profui: et probare plus se pro fuisse
quam obfuisse, quae est qualitas compensativa, quam ideo Cicero comparationem
vocat, quod comparetur id, quod in crimen vocatur, ad id, quo se reus profuisse dicit:
quae comparatio semper in eodem facto est (Orelli, Ciceronis Scholiastae [1833]
143 Z. 14ff.).
137 Cassius hat in 14.44.4 die argumentatio noch einmal aufgenommen (s. oben A. 127).
Zu den ‘künstlichen Beweisen’ (Lausberg §§355 ff.) gehören die exempla
(§§ 410ff.); das historische exemplum ist das häufigste, weil es wahr und darum am
glaubwürdigsten ist (§412).
138 Zu Form und Funktion der Sentenz Lausberg §§872ff.; Martin 122ff.
 
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