Das Senatusconsultum Silanianum
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Diese Schlußsentenz paßt auf die Heeresdezimierung.139 Wenn bei der
Dezimierung des Heeres einzelne Soldaten zu Unrecht bestraft wer-
den, weil sie ihre Pflicht nicht verletzt und die Niederlage nicht ver-
schuldet haben, so dient die Strafaktion doch dem Nutzen des ganzen
römischen Volkes. Für diese Rechtfertigung ist aber entscheidend, daß
die unschuldigen Soldaten zum römischen Volk gehörten. Beim sena-
tus consultum Silanianum ist das aber anders. Hier werden unschuldige
Sklaven bestraft nicht zum Nutzen einer Gemeinschaft, der sie angehö-
ren, sondern zum Nutzen der Sklavenhalter. Auf die Bestrafung
unschuldiger Sklaven nach dem senatus consultum trifft darum die
Schlußsentenz nicht zu.140
Ist Cassius oder Tacitus wieder ein Lapsus unterlaufen?141 Denkbar
wäre auch, daß Cassius oder Tacitus wider besseres Wissen ein falsches
Beispiel bringt, weil es auf den ersten Blick wirklich wie ein plausibles
139 Die decimatio war eine althergebrachte Militärstrafe, die gegen ganze Truppenteile
verhängt wurde, die gemeutert oder in der Schlacht ihren Platz verlassen hatten. Sie
soll schon 471 v. Chr. im Krieg gegen die Volsker von einem Appius Claudius (!)
angewandt worden sein (Liv. 2.59.11; Dion. Hal. ant. 9.50.7) und ist am Ende der
Republik häufig verhängt worden, auch von Caesar, Antonius und Octavian. Taci-
tus berichtet (ann. 3.21.1) von einer Dezimierung im Jahre 20 n. Chr.; zu dieser Zeit
soll sie selten und nur vetere memoria bekannt gewesen sein; sie ist für ihn severitas
(3.21.2). Galba dezimierte 68 n. Chr. in Rom eine Marineeinheit, weil sich die
Matrosen, die Nero befördert hatte, weigerten, wieder Ruderknechte zu werden;
Galba bestätigte damit seine fama saevitiae (Suet. Galba 12). Saevitia sagt Livius
(2.58.4) auch Appius Claudius nach. - Die Auswahl jedes Zehnten wurde durch das
Los getroffen, die Exekution gewöhnlich durch die eigenen Kameraden vollzogen,
und zwar wirklich durch Totprügeln; vgl. die Beschreibung bei Polybius 6.37 f. Im
übrigen s. Fiebiger, RE 4 (1901) 2272; Wayte in W. Smith u.a., Dictionary of
Greek and Roman Antiquities (3. Aufl. London 1890) I 602. In der Neuzeit ist die
Dezimierung zum letzten Mal im Dreißigjährigen Krieg, nach der Niederlage der
Kaiserlichen gegen die Schweden am 2. 11. 1642 bei Breitenfeld, an dem feldflüchti-
gen Regiment Mandlot vollzogen worden; vgl. A. Huber, Geschichte Österreichs
(1896) 5. Bd., 542.
140 So schon Nörr (1983) 198, 206. - „Das exemplum ist eine von außen geholte
probatio“', es hat von sich aus mit dem Gegenstand der Rede nichts zu tun. Es wird
vom Redner ausgewählt und muß von ihm zu seiner Sache in Beziehung gesetzt
werden (Lausberg §411). Je besser ihm das gelingt, umso glaubwürdiger ist sein
Beweis. Die Beziehung, die der Redner zwischen dem exemplum und seiner Sache
herstellen muß, ist eine Ähnlichkeit (§§ 419f., 426). Cassius verwendet die Heeres-
dezimierung offenbar als ein exemplum maius (dazu sofort im Text). Wie wir sehen,
ist die behauptete Ähnlichkeit in einem entscheidenden Punkt jedoch nicht gege-
ben: die Beweisführung darum nicht überzeugend.
141 Siehe o. nach A. 86.
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Diese Schlußsentenz paßt auf die Heeresdezimierung.139 Wenn bei der
Dezimierung des Heeres einzelne Soldaten zu Unrecht bestraft wer-
den, weil sie ihre Pflicht nicht verletzt und die Niederlage nicht ver-
schuldet haben, so dient die Strafaktion doch dem Nutzen des ganzen
römischen Volkes. Für diese Rechtfertigung ist aber entscheidend, daß
die unschuldigen Soldaten zum römischen Volk gehörten. Beim sena-
tus consultum Silanianum ist das aber anders. Hier werden unschuldige
Sklaven bestraft nicht zum Nutzen einer Gemeinschaft, der sie angehö-
ren, sondern zum Nutzen der Sklavenhalter. Auf die Bestrafung
unschuldiger Sklaven nach dem senatus consultum trifft darum die
Schlußsentenz nicht zu.140
Ist Cassius oder Tacitus wieder ein Lapsus unterlaufen?141 Denkbar
wäre auch, daß Cassius oder Tacitus wider besseres Wissen ein falsches
Beispiel bringt, weil es auf den ersten Blick wirklich wie ein plausibles
139 Die decimatio war eine althergebrachte Militärstrafe, die gegen ganze Truppenteile
verhängt wurde, die gemeutert oder in der Schlacht ihren Platz verlassen hatten. Sie
soll schon 471 v. Chr. im Krieg gegen die Volsker von einem Appius Claudius (!)
angewandt worden sein (Liv. 2.59.11; Dion. Hal. ant. 9.50.7) und ist am Ende der
Republik häufig verhängt worden, auch von Caesar, Antonius und Octavian. Taci-
tus berichtet (ann. 3.21.1) von einer Dezimierung im Jahre 20 n. Chr.; zu dieser Zeit
soll sie selten und nur vetere memoria bekannt gewesen sein; sie ist für ihn severitas
(3.21.2). Galba dezimierte 68 n. Chr. in Rom eine Marineeinheit, weil sich die
Matrosen, die Nero befördert hatte, weigerten, wieder Ruderknechte zu werden;
Galba bestätigte damit seine fama saevitiae (Suet. Galba 12). Saevitia sagt Livius
(2.58.4) auch Appius Claudius nach. - Die Auswahl jedes Zehnten wurde durch das
Los getroffen, die Exekution gewöhnlich durch die eigenen Kameraden vollzogen,
und zwar wirklich durch Totprügeln; vgl. die Beschreibung bei Polybius 6.37 f. Im
übrigen s. Fiebiger, RE 4 (1901) 2272; Wayte in W. Smith u.a., Dictionary of
Greek and Roman Antiquities (3. Aufl. London 1890) I 602. In der Neuzeit ist die
Dezimierung zum letzten Mal im Dreißigjährigen Krieg, nach der Niederlage der
Kaiserlichen gegen die Schweden am 2. 11. 1642 bei Breitenfeld, an dem feldflüchti-
gen Regiment Mandlot vollzogen worden; vgl. A. Huber, Geschichte Österreichs
(1896) 5. Bd., 542.
140 So schon Nörr (1983) 198, 206. - „Das exemplum ist eine von außen geholte
probatio“', es hat von sich aus mit dem Gegenstand der Rede nichts zu tun. Es wird
vom Redner ausgewählt und muß von ihm zu seiner Sache in Beziehung gesetzt
werden (Lausberg §411). Je besser ihm das gelingt, umso glaubwürdiger ist sein
Beweis. Die Beziehung, die der Redner zwischen dem exemplum und seiner Sache
herstellen muß, ist eine Ähnlichkeit (§§ 419f., 426). Cassius verwendet die Heeres-
dezimierung offenbar als ein exemplum maius (dazu sofort im Text). Wie wir sehen,
ist die behauptete Ähnlichkeit in einem entscheidenden Punkt jedoch nicht gege-
ben: die Beweisführung darum nicht überzeugend.
141 Siehe o. nach A. 86.