Der Begriff der Würde im antiken Rom
11
der Seele im Menschen zu bezeichnen. Das scheint sich aus den Refle-
xen bei Philon von Alexandrien und den griechischen Kirchenvätern zu
ergeben. Eine andere Bedeutung hat αξία bei den alten Stoikern (SVF
ed. v. Arnim, III, 264, fr. 22), die lehrten, daß der ήδονή keine αξία
zukomme, αξία heißt hier ,Wert‘, nicht ,Würde‘10. Der erste Schritt
moralisch richtigen Verhaltens bestehe in der Beurteilung, welcher
Wert jeder Sache beizumessen sei (-θεωρία τής καθ’ έκαστον άξίας:
Eudoros bei Stobaeus 2,42,13). Seneca gibt dies wieder mit pretia rerum
nosse (ep. 89,15).
Die Vulgata verwendet bei der Wiedergabe der Septuaginta häufig
dignitas. Im griechischen Text aber steht nicht άξίωμα, sondern δόξα!1
(z.B. Prov. 14,28; 20,29) oder τιμή (z.B. Is. 10,16; 11,10; 14,18) oder
beides (z.B. Ps. 8,6: Gott hat den Menschen mit δόξα und τιμή
bekränzt). Umgekehrt erscheint δόξα zusammen mit ανδρεία auf einer
Inschrift für den Quaestor Μ. Annius (117 v. Chr.): πράσσων ταΰτα
άξίως μεν τής πατρίδος και των προγόνων, άξίως δε καί τής ιδίας
δόξης τε καί άνδρείας,12 wo in einem entsprechenden lateinischen Text
durchaus von dignitas und virtus die Rede sein könnte. Im Neuen Testa-
ment fehlen substantivische Begriffe für die Würde überhaupt.
Doch wenn sich auch die Begriffe τιμή, δόξα und dignitas weitgehend
decken, so besteht doch ein gewisser Unterschied darin, daß sich digni-
tas im wesentlichen auf die politische und soziale Stellung bezieht, wäh-
rend τιμή und δόξα bei den Griechen auch dem Sieger im sportlichen
Wettkampf zuteil werden, dem Dichter, dem Weisen, was nicht aus-
schließt, daß nicht auch einmal in der römischen Welt in einem solchen
Zusammenhang der Begriff dignitas erscheinen könnte. In einer Rede
vor den Athenern sagt Alkibiades (Thuk. 6,16): „Ich habe sieben
Wagen nach Olympia geschickt, was noch kein Privatmann vor mir
getan hat. Ich habe Siege davongetragen, bin Zweiter und Vierter
geworden, und habe alles übrige so würdig, wie es ein Sieg erfordert,
veranstaltet. Solche Dinge bringen nach altem Brauch Ehre ein.“ Wo
Plato von der Würde Athens spricht (Prot. 377d), meint er den Ruhm
des attischen Geistes. In Rom hingegen ist im allgemeinen die politische
1(1 Überden Unterschied H. G. Gadamer 1988. Vgl. auch Seneca ep. 71,33: his (corporum
bonis) pretium erit aliquod, ceterum dignitas non erit.
11 Im Einzelnen hierzu Johannes Schneider, Doxa. Eine bedeutungsgeschichtliche Studie,
Gütersloh 1932. Vgl. W. Venske, Plato und der Ruhm. Ein Beitrag zur Geschichte der
griechischen Ruhmesidee, Würzburg 1938 (Kieler Arbeiten zur klassischen Philologie
4).
12 Ditt. Syll.3 700,35.
11
der Seele im Menschen zu bezeichnen. Das scheint sich aus den Refle-
xen bei Philon von Alexandrien und den griechischen Kirchenvätern zu
ergeben. Eine andere Bedeutung hat αξία bei den alten Stoikern (SVF
ed. v. Arnim, III, 264, fr. 22), die lehrten, daß der ήδονή keine αξία
zukomme, αξία heißt hier ,Wert‘, nicht ,Würde‘10. Der erste Schritt
moralisch richtigen Verhaltens bestehe in der Beurteilung, welcher
Wert jeder Sache beizumessen sei (-θεωρία τής καθ’ έκαστον άξίας:
Eudoros bei Stobaeus 2,42,13). Seneca gibt dies wieder mit pretia rerum
nosse (ep. 89,15).
Die Vulgata verwendet bei der Wiedergabe der Septuaginta häufig
dignitas. Im griechischen Text aber steht nicht άξίωμα, sondern δόξα!1
(z.B. Prov. 14,28; 20,29) oder τιμή (z.B. Is. 10,16; 11,10; 14,18) oder
beides (z.B. Ps. 8,6: Gott hat den Menschen mit δόξα und τιμή
bekränzt). Umgekehrt erscheint δόξα zusammen mit ανδρεία auf einer
Inschrift für den Quaestor Μ. Annius (117 v. Chr.): πράσσων ταΰτα
άξίως μεν τής πατρίδος και των προγόνων, άξίως δε καί τής ιδίας
δόξης τε καί άνδρείας,12 wo in einem entsprechenden lateinischen Text
durchaus von dignitas und virtus die Rede sein könnte. Im Neuen Testa-
ment fehlen substantivische Begriffe für die Würde überhaupt.
Doch wenn sich auch die Begriffe τιμή, δόξα und dignitas weitgehend
decken, so besteht doch ein gewisser Unterschied darin, daß sich digni-
tas im wesentlichen auf die politische und soziale Stellung bezieht, wäh-
rend τιμή und δόξα bei den Griechen auch dem Sieger im sportlichen
Wettkampf zuteil werden, dem Dichter, dem Weisen, was nicht aus-
schließt, daß nicht auch einmal in der römischen Welt in einem solchen
Zusammenhang der Begriff dignitas erscheinen könnte. In einer Rede
vor den Athenern sagt Alkibiades (Thuk. 6,16): „Ich habe sieben
Wagen nach Olympia geschickt, was noch kein Privatmann vor mir
getan hat. Ich habe Siege davongetragen, bin Zweiter und Vierter
geworden, und habe alles übrige so würdig, wie es ein Sieg erfordert,
veranstaltet. Solche Dinge bringen nach altem Brauch Ehre ein.“ Wo
Plato von der Würde Athens spricht (Prot. 377d), meint er den Ruhm
des attischen Geistes. In Rom hingegen ist im allgemeinen die politische
1(1 Überden Unterschied H. G. Gadamer 1988. Vgl. auch Seneca ep. 71,33: his (corporum
bonis) pretium erit aliquod, ceterum dignitas non erit.
11 Im Einzelnen hierzu Johannes Schneider, Doxa. Eine bedeutungsgeschichtliche Studie,
Gütersloh 1932. Vgl. W. Venske, Plato und der Ruhm. Ein Beitrag zur Geschichte der
griechischen Ruhmesidee, Würzburg 1938 (Kieler Arbeiten zur klassischen Philologie
4).
12 Ditt. Syll.3 700,35.