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Viktor Pöschl
niell des Hofes von dem gewöhnlichen Volk deutlich abgehoben. Schon
bei Homer ist das in viel geringerem Maße der Fall. Insofern könnte man
vielleicht sagen, daß die Bedeutung, die die Römer der Ausgestaltung
des Staats- und Ritualzeremoniells und der Sichtbarmachung von Rang-
unterschieden durch äußere Erscheinung und Ausstattungsprunk beile-
gen, ein Survival aus archaischer Zeit ist. Freilich wurde dies dann von
den Römern großartig im Dienste ihrer imperialen Idee und ihrer Mis-
sionsideologie ausgebaut.
Dignitas ist also ein römisches Stil- und Formprinzip in einem sehr
umfassenden Sinn. So spielt dignitas im Bereich der römischen
Geschichtsschreibung - das Beispiel des Livius haben wir erwähnt -, der
Poesie, der Rhetorik eine nicht zu unterschätzende Rolle.
Julius Caesar Scaliger hat die dignitas des virgilischen Stiles ausführ-
lich behandelt64 und eine große Reihe von Beispielen angeführt, die
auch heute noch von Interesse sind. „Was große und glanzvolle Worte
sind“, so schreibt er, „kann man leicht begreifen, wenn man die Worte
betrachtet, die Virgil in seinem göttlichen Werk gebraucht hat, wenn
man überlegt, welche er gemieden hat, und wenn man die Worte, die er
im niederen oder mittleren Stil gebraucht hat, mit den Worten ver-
gleicht, die er im hohen Stil verwendete.“ Dementsprechend eliminiert
Virgil homerische Gleichnisse, die der Würde römischer Götter und
Helden nicht entsprechen, so den Vergleich der Göttin Athene mit einer
lästigen Mücke, des Aias mit einem störrischen Esel, des sich herumwäl-
zenden Odysseus mit einer Bratwurst, der Achäer mit Fliegen, die einen
Melkeimer umschwirren.65Aus dem an dignitas orientierten Verhaltens-
kodex läßt sich auch verstehen, daß Virgil die Liebe des Aeneas zu Dido
mit solcher Zurückhaltung behandelt. Er tut es, um die Würde seines
Helden durch die Betonung seiner Leidenschaft nicht zu beeinträch-
tigen.
Der bereits genannte auctor ad Herennium (3,23) erwähnt die Würde
bei der Behandlung der Vortragsweise: dignitas est oratio cum aliqua
gravitate. Besonders zu Beginn der Rede sei die Wahrung der dignitas
64 Julius Caesar Scaliger, Poetices libri septem, Lyon 1561, Faksimile-Nachdruck Stutt-
gart-Bad Cannstatt 21987, Buch IV, Kap. 16 (187). Zum Problem der vermiedenen
Wörter B. Axelson, Unpoetische Wörter, Lund 1945, der jedoch Scaliger nicht er-
wähnt.
65 Vgl. V Pöschl, Die Dichtkunst Virgils. Bild und Symbol in der Äneis. 3., überarb. u.
erw. Aufl., Berlin und New York 1977,132; Μ. v. Albrecht, Gleichnis und Innenwelt in
Silius’ Punica, Hermes 91, 1963, 352-375; ders., Römische Poesie, Heidelberg 1977,
30.33.
Viktor Pöschl
niell des Hofes von dem gewöhnlichen Volk deutlich abgehoben. Schon
bei Homer ist das in viel geringerem Maße der Fall. Insofern könnte man
vielleicht sagen, daß die Bedeutung, die die Römer der Ausgestaltung
des Staats- und Ritualzeremoniells und der Sichtbarmachung von Rang-
unterschieden durch äußere Erscheinung und Ausstattungsprunk beile-
gen, ein Survival aus archaischer Zeit ist. Freilich wurde dies dann von
den Römern großartig im Dienste ihrer imperialen Idee und ihrer Mis-
sionsideologie ausgebaut.
Dignitas ist also ein römisches Stil- und Formprinzip in einem sehr
umfassenden Sinn. So spielt dignitas im Bereich der römischen
Geschichtsschreibung - das Beispiel des Livius haben wir erwähnt -, der
Poesie, der Rhetorik eine nicht zu unterschätzende Rolle.
Julius Caesar Scaliger hat die dignitas des virgilischen Stiles ausführ-
lich behandelt64 und eine große Reihe von Beispielen angeführt, die
auch heute noch von Interesse sind. „Was große und glanzvolle Worte
sind“, so schreibt er, „kann man leicht begreifen, wenn man die Worte
betrachtet, die Virgil in seinem göttlichen Werk gebraucht hat, wenn
man überlegt, welche er gemieden hat, und wenn man die Worte, die er
im niederen oder mittleren Stil gebraucht hat, mit den Worten ver-
gleicht, die er im hohen Stil verwendete.“ Dementsprechend eliminiert
Virgil homerische Gleichnisse, die der Würde römischer Götter und
Helden nicht entsprechen, so den Vergleich der Göttin Athene mit einer
lästigen Mücke, des Aias mit einem störrischen Esel, des sich herumwäl-
zenden Odysseus mit einer Bratwurst, der Achäer mit Fliegen, die einen
Melkeimer umschwirren.65Aus dem an dignitas orientierten Verhaltens-
kodex läßt sich auch verstehen, daß Virgil die Liebe des Aeneas zu Dido
mit solcher Zurückhaltung behandelt. Er tut es, um die Würde seines
Helden durch die Betonung seiner Leidenschaft nicht zu beeinträch-
tigen.
Der bereits genannte auctor ad Herennium (3,23) erwähnt die Würde
bei der Behandlung der Vortragsweise: dignitas est oratio cum aliqua
gravitate. Besonders zu Beginn der Rede sei die Wahrung der dignitas
64 Julius Caesar Scaliger, Poetices libri septem, Lyon 1561, Faksimile-Nachdruck Stutt-
gart-Bad Cannstatt 21987, Buch IV, Kap. 16 (187). Zum Problem der vermiedenen
Wörter B. Axelson, Unpoetische Wörter, Lund 1945, der jedoch Scaliger nicht er-
wähnt.
65 Vgl. V Pöschl, Die Dichtkunst Virgils. Bild und Symbol in der Äneis. 3., überarb. u.
erw. Aufl., Berlin und New York 1977,132; Μ. v. Albrecht, Gleichnis und Innenwelt in
Silius’ Punica, Hermes 91, 1963, 352-375; ders., Römische Poesie, Heidelberg 1977,
30.33.