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Pöschl, Viktor; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1989, 3. Abhandlung): Der Begriff der Würde im antiken Rom und später: vorgetragen am 10. Mai 1969 — Heidelberg: Winter, 1989

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https://doi.org/10.11588/diglit.48158#0036
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Viktor Pöschl

nen: „Anmut liegt in der Freiheit der willkürlichen Bewegung, Würde in
der Beherrschung der unwillkürlichen.“ Schiller zieht daraus Folgerun-
gen für das Verhalten des Menschen in der Gemeinschaft: „Will der
Starke geliebt sein, so mag er seine Überlegenheit durch Anmut mil-
dern; will der Schwache beachtet sein, so mag er seiner Ohnmacht durch
Würde aufhelfen . . . Wenn man auf Theatern und Ballsälen Gelegen-
heit hat, die affektierte Anmut zu beobachten, so kann man oft in den
Kabinetten der Minister und in den Studierzimmern der Gelehrten (auf
hohen Schulen besonders) die falsche Würde studieren. Wenn die wahre
Würde zufrieden ist, den Affekt an seiner Herrschaft zu hindern, und
dem Naturtriebe bloß da, wo er den Meister spielen will, in den unwill-
kürlichen Bewegungen Schranken setzt, so regiert die falsche Würde
auch die willkürlichen mit einem eisernen Szepter.“
In der Antike findet sich das Paar „Würde und Anmut“ außer bei
Cicero auch bei Dionys von Halikarnass in der Charakteristik des Stiles
Platons und Herodots (Demosthenes 41).69
Ein wesentliches Element der antiken Kunstrede, die in einem für uns
nicht mehr vorstellbaren Maße als musikalisches Gebilde genossen
wurde, ist der Rhythmus. Cicero erläutert daher, teilweise im Anschluß
an Aristoteles (Rhetor. 3,8), welcher Rhythmus „Würde“ hat und wel-
cher nicht. Er wendet sich gegen Redner, die tantummodo commoditatis
habuerunt rationem, nullam dignitatis (or. 193).
Ein weiteres griechisches Element, das den Begriff der dignitas prägt
und auch im stilistisch-rhetorischen Zusammenhang - aber nicht nur in
diesem - von ganz entscheidender Bedeutung ist, ist das πρέπον, das
decorum, ein Zentralbegriff des Stoikers Panaitios. In ihm verbindet
sich das Rechte mit dem Gefälligen, das Gute mit dem Schönen, das
Ethische mit dem Ästhetischen. An Panaitios schließt sich Cicero an,
und so wird das Ästhetische auch im theoretischen Bewußtsein der
Römer zu einem integrierenden Bestandteil des decorum und der digni-
tas. Das decorum zu finden ist nach Cicero im Leben wie in der Rede-
kunst das Allerschwierigste: ut enim in vita, sic in oratione nihil est diffici-
lius quam quid deceat videre, πρέπον appellant hoc Graeci, nos dicamus
sane decorum . . . huius ignoratione non modo in vita, sed saepissime et in
69 Im Cortigiano des Castiglione ist von Worten die Rede, die infolge der fortschreitenden
Entwicklung der Sprache „Anmut und Würde“, grazia e dignitä, gewinnen können (B.
Castiglione, II libro del Cortigiano, Milano 1981, 79). In dem dort beschriebenen Ideal
des Hofmannes spielt grazia eine weit größere Rolle als dignitä, ein deutliches Zeichen,
wie sehr das italienische Ideal vom römischen abweicht. In Spanien, das dem Römi-
schen näher steht, wäre dies vermutlich anders.
 
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