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Pöschl, Viktor; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1989, 3. Abhandlung): Der Begriff der Würde im antiken Rom und später: vorgetragen am 10. Mai 1969 — Heidelberg: Winter, 1989

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https://doi.org/10.11588/diglit.48158#0044
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Viktor Pöschl

übrige überragt, wenn sie sich selbst erkennt, jedoch unter die Tiere
herabsinkt, wenn sie aufhört, sich zu erkennen (2,5,25ff). Selbster-
kenntnis im Sinne der Erkenntnis der von Gott gesetzten Bestimmung
des Menschen ist wie bei Cicero die Voraussetzung zur Erfüllung der
Menschenwürde.88 Boethius steht hierin noch ganz in der heidnisch-
antiken Tradition. Gleichwohl ist er von der christlichen Vorstellung der
Menschenwürde, die sich seit langem entwickelt hatte, nicht sehr weit
entfernt. Die Würde des Menschen beruht in den Augen der Christen
auf seiner Gottebenbildlichkeit. Entscheidend ist der Satz der Genesis
(1,26): „Darauf sprach Gott: Laßt uns den Menschen machen nach
unserm Bild und Gleichnis.“ Dieser überaus kühne Satz des Alten
Testamentes wurde in der christlichen Welt als die Begründung der
Menschenwürde angesehen.89 Doch auch sie hatte vorchristliche Ante-
zedenzien. Ein Bild der griechischen Vorstufen könnte man aus einer
umfassenden Geschichte der griechischen Anthropologie gewinnen, wie
sie in idealer Form noch nicht existiert. Für uns mag der Flinweis genü-
gen, daß die platonische όμοίωσις ϋεώ (z.B. Theaet. 176b; rep. 613b;
leg. 4,716d) und seine Forderung, Philosophie als Hinwendung zum
Göttlichen im Menschen und zur Überwindung des Tierischen90 zu
betreiben, als eine frühe Vorstufe der christlichen Forderung angesehen
werden kann, die Menschenwürde als Auftrag an den Menschen zu ver-
sehen, sich selbst als Bild und Gleichnis Gottes zu verwirklichen.
Die hellenistische Zwischenstufe fassen wir bei Cicero (leg. 1,24):
„Die Seele des Menschen wurde von Gott gezeugt“: disputatur. . . ani-
mum esse ingeneratum a deo. Der Mensch hat eine ,Sohnesverwandt-
schaff (agnatio) mit Gott. Mit ihm hat er die ,Tugend‘ gemein, „Tugend
ist aber nichts anderes als die vollkommene und zur höchsten Stufe
gebrachte Natur. Der Mensch hat also eine Ähnlichkeit mit Gott“: est
autem virtus nihil aliud nisi perfecta et ad summum perducta natura, est
igitur homini cum deo similitudo .91 Die „Gottesebenbildlichkeit“ begeg-
net auch wieder in Ovids Schöpfungsgeschichte: „Prometheus schuf den
Menschen aus Erde und Wasser nach dem Bilde der Götter.“92 Mit die-
88 Hierzu vgl. P. Courcelle Bd. 1, 29ff.
89 Die christliche Entwicklung der Gottebenbildlichkeit behandelt A.-G. Hamman
(1987); vgl. E. von Severus.
90 Hierzu vor allem Gundert 96 ff.
91 Cic. fin. 2,40 wird der Mensch geradezu als mortalis deus und animal divinum be-
zeichnet.
92 Ovid Met. 1,82: quam (sc. tellurem) satus Iapeto mixtam pluvialibus undis / finxit in
effigiem moderantum cuncta deorum.
 
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