Ovids poetische Menschenwelt
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Bellum“ (v. 142), die Gegenfigur (und als solche, als handelnde Person,
großzuschreiben) zur Virgo Astraea, die die Erde verläßt - und schüttelt
in ,blutiger Hand‘ die klirrenden Waffen (v. 143). Die ,sanguinea ma-
nus1 des Krieges ist die Grundfarbe, mit der Wort und Motiv ,Blut‘ in
den Metamorphosen erstmals erscheinen. Über ,exitium‘ und ,caedes‘
(vgl. v. 146 und 149) wird der Leser geführt zu ,sanguis‘, ,cruor‘, ,caedes‘
und wieder ,sanguis1 in den Versen 156-162.
Eine erneute thematische Gegenbewegung, einsetzend innerhalb der
zweiten Themendurchführung, bringt den Leser wieder in die Nähe der
ersten Themendurchführung zurück: „subolemque priori / dissimilem
populo (sc. propagini e sanguine natae) promittit (sc. lupiter) origine
mira“ (met. 1,251 f.). Die Götterversammlung (erzählt im Anschluß an
Gigantenaufruhr und Entstehung des gewalttätigen, mordgierigen, göt-
terverachtenden Menschengeschlechts) dient dem Bericht lupiters von
der Bestrafung Lycaons durch Verwandlung in einen Wolf („lupus“) -
„nunc quoque sanguine gaudet“ (v. 235) - und seiner Ankündigung der
Vernichtung des Menschengeschlechts durch die große Flut. Ovid er-
zählt hier nicht ennianisch-episch, sondern lucilisch-satirisch, indem er
dem Leser hinter seinem Text die berühmteste36 Satire des Lucilius ver-
gegenwärtigt: das „Concilium deorum“ in Buch I mit der Bestrafung des
Lupus.37
36 Vgl. Seneca, Apocolocyntosis; Juvenal, sat. 4.
37 Merkwürdigerweise ist m. W. bisher (d.h. vor Schmidt, 1990, Themenführung, S. 199)
nirgends diese (in meinen Augen offenkundige) Anregung für die Götterversammlung
und ihre Tagesordnung Lycaon = lupus bzw. dieser intertextuelle Dialog ausgesprochen
worden. (Herter, 1982, Concilium Deorum, der offenbar die gesamte Literatur über-
blickt, erwähnt S. 118 doch nur eine Arbeit, die einmal, nämlich für die römische Einfär-
bung der Götterversammlung Ovids auf Lucilius als Parallele verweist: E. J. Bernbeck,
Beobachtungen zur Darstellungsart in Ovids Metamorphosen, München 1967, S. 92f.,
Anm. 21). Dieser Hintergrund unterstreicht den von mir betonten moralistischen Cha-
rakter des ovidischen Anfangsthemas - und seinen ,Witz‘. Wie bei Lucilius (gegenüber
Neptuns Vorschlag einer Sintflut) Bedenken der Götter gegenüber allgemeiner Ver-
nichtung, wie bei Lucilius um kontrollierten Ablaufs der Überflutung willen Einschlie-
ßung des Boreas (Lucilius, fr. 44-47 Krenkel: emathischer Wind; Ovid, met. l,262f.:
Aquilo und andere; dieser Aspekt der Bedrohung der Welt von Ovid vorbereitet in met.
1, 56-66 mit der „discordia fratrum“, die schier die Welt zerreißen („[. . .] / quin lanient
mundum“, v. 60; hier, v. 66, auch schon der regennasse Auster/Notus von v. 264). -
Hatte Lucilius sogleich zu Beginn seines Buches offenbar abgelehnt, „Aetheris et terrae
genitabile quaerere tempus“ (fr. 1 Marx, Warmington, Krenkel = Vers 1 von Buch I), so
zeigt Ovid, wie sich kosmogonisches Interesse und moralistischer Impuls in anthropolo-
gischer Neugier als poetische Gestalt verbinden lassen. Ob allerdings in fr. 1 mit der
,Zeugungszeit von Äther und Erde' die ,Geburt' (gen. obj.), die Entstehungszeit - so
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Bellum“ (v. 142), die Gegenfigur (und als solche, als handelnde Person,
großzuschreiben) zur Virgo Astraea, die die Erde verläßt - und schüttelt
in ,blutiger Hand‘ die klirrenden Waffen (v. 143). Die ,sanguinea ma-
nus1 des Krieges ist die Grundfarbe, mit der Wort und Motiv ,Blut‘ in
den Metamorphosen erstmals erscheinen. Über ,exitium‘ und ,caedes‘
(vgl. v. 146 und 149) wird der Leser geführt zu ,sanguis‘, ,cruor‘, ,caedes‘
und wieder ,sanguis1 in den Versen 156-162.
Eine erneute thematische Gegenbewegung, einsetzend innerhalb der
zweiten Themendurchführung, bringt den Leser wieder in die Nähe der
ersten Themendurchführung zurück: „subolemque priori / dissimilem
populo (sc. propagini e sanguine natae) promittit (sc. lupiter) origine
mira“ (met. 1,251 f.). Die Götterversammlung (erzählt im Anschluß an
Gigantenaufruhr und Entstehung des gewalttätigen, mordgierigen, göt-
terverachtenden Menschengeschlechts) dient dem Bericht lupiters von
der Bestrafung Lycaons durch Verwandlung in einen Wolf („lupus“) -
„nunc quoque sanguine gaudet“ (v. 235) - und seiner Ankündigung der
Vernichtung des Menschengeschlechts durch die große Flut. Ovid er-
zählt hier nicht ennianisch-episch, sondern lucilisch-satirisch, indem er
dem Leser hinter seinem Text die berühmteste36 Satire des Lucilius ver-
gegenwärtigt: das „Concilium deorum“ in Buch I mit der Bestrafung des
Lupus.37
36 Vgl. Seneca, Apocolocyntosis; Juvenal, sat. 4.
37 Merkwürdigerweise ist m. W. bisher (d.h. vor Schmidt, 1990, Themenführung, S. 199)
nirgends diese (in meinen Augen offenkundige) Anregung für die Götterversammlung
und ihre Tagesordnung Lycaon = lupus bzw. dieser intertextuelle Dialog ausgesprochen
worden. (Herter, 1982, Concilium Deorum, der offenbar die gesamte Literatur über-
blickt, erwähnt S. 118 doch nur eine Arbeit, die einmal, nämlich für die römische Einfär-
bung der Götterversammlung Ovids auf Lucilius als Parallele verweist: E. J. Bernbeck,
Beobachtungen zur Darstellungsart in Ovids Metamorphosen, München 1967, S. 92f.,
Anm. 21). Dieser Hintergrund unterstreicht den von mir betonten moralistischen Cha-
rakter des ovidischen Anfangsthemas - und seinen ,Witz‘. Wie bei Lucilius (gegenüber
Neptuns Vorschlag einer Sintflut) Bedenken der Götter gegenüber allgemeiner Ver-
nichtung, wie bei Lucilius um kontrollierten Ablaufs der Überflutung willen Einschlie-
ßung des Boreas (Lucilius, fr. 44-47 Krenkel: emathischer Wind; Ovid, met. l,262f.:
Aquilo und andere; dieser Aspekt der Bedrohung der Welt von Ovid vorbereitet in met.
1, 56-66 mit der „discordia fratrum“, die schier die Welt zerreißen („[. . .] / quin lanient
mundum“, v. 60; hier, v. 66, auch schon der regennasse Auster/Notus von v. 264). -
Hatte Lucilius sogleich zu Beginn seines Buches offenbar abgelehnt, „Aetheris et terrae
genitabile quaerere tempus“ (fr. 1 Marx, Warmington, Krenkel = Vers 1 von Buch I), so
zeigt Ovid, wie sich kosmogonisches Interesse und moralistischer Impuls in anthropolo-
gischer Neugier als poetische Gestalt verbinden lassen. Ob allerdings in fr. 1 mit der
,Zeugungszeit von Äther und Erde' die ,Geburt' (gen. obj.), die Entstehungszeit - so