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Ernst A. Schmidt
verließ (met. 1,149f.: „caede madentesI [. . .] terras“)· Jetzt trifft Jupiters
Blitz die Giganten (v. 154ff.), und die Erde wird naß vom Blut ihrer
Söhne (v. 157f.: „perfusam [. . .] natorum sanguine Terram / inmadu-
isse“). Wie zuvor der Titanide Prometheus (v. 82) Erde zu Menschen
gebildet hatte, so belebt nun die Erde das heiße Blut der erschlagenen
Giganten und gibt ihm Menschengestalt (v. 158 ff. )· Dem Sohn des Tita-
nen Iapetus als Menschenbildner antwortet Terra als Menschenbildne-
rin, die das Blut ihrer Söhne, der Giganten, formt.
Das enstandene Geschlecht gibt in seiner Verachtung der Götter, Ge-
walttätigkeit und Mordlust zu erkennen, daß es aus Blut geboren ist
(v. 160-162). Das sind weder andere Menschen als die des ersten Schöp-
fungsberichts im Sinn der Menschheit einer späteren Epoche oder eines
anderen Geschlechts, noch liegt hier ein Widerspruch zum ersten Schöp-
fungsbericht vor.34 Die Gigantenblutmenschen lösen das Gebilde des
Prometheus so wenig historisch ab, wie die Transposition eines musika-
lischen Themas in die Dominante die Tonicadurchführung historisch
überholt oder faktisch negiert. Das Wesen des Menschen wird im
Thema der Schöpfung in verschieden gefärbten Kontexten so dekliniert,
daß aus diesen Variationen und Transpositionen ein komplexeres Men-
schenbild sich zusammenfügt. Die Menschheit aus dem Blut frevelnder
Götterverächter ist keine (naturgeschichtliche) Sonderspezies, sondern
eine poetisch-metaphorisch gedeutete Grundmöglichkeit des Men-
schen.
,Blut‘ gab es (nicht historisch, sondern thematisch betrachtet) vor und
in der ersten Schöpfungserzählung noch nicht. Dahin mußte erst die Be-
wegung der Metallalterfolge führen. Für die „aurea aetas“ galt, daß
noch nicht einmal Baum und Erde Verletzung erfuhren.35 Mit der
„aenea proles“ tauchen „horrida [. . .] arma“ auf: „saevior“ ist dies Ge-
schlecht, „non scelerata tamen“ (met. 1,126f.). Das Eiserne Geschlecht
ist dann gezeichnet durch das Einbrechen von „omne nefas“ (v. 128f.).
Eisen und Gold kommen hervor (v. 141 f.). Der Krieg tritt auf - „prodit
34 So jedoch Buchheit (1966), Mythos und Geschichte, S. 103 mit Anm. 5 in einer etwas
widersprüchlichen Argumentation: Ovid sei es nur auf den Gigantenaufruhrund dessen
Niederschlagung angekommen. Er habe „dabei einen gewissen Widerspruch in Kauf“
genommen, „wenn er auch aus dem Blut der Giganten Menschen entstehen“ ließ, wo-
von die übrige Tradition nichts wisse (was Ovid also hier für diese Stelle erfunden haben
muß).
35 Vgl. met. l,94f.: „nondum caesa [. . ./. ..] pinus“ und 101 f.: „nec [...]/ saucia [. . .]
tellus“; die Gegenbilder dazu, Schiffahrt und Pflügen in Silberner und Eiserner Zeit,
werden ohne die Metaphorik der Wunde präsentiert (vgl. met. l,123f. und 132ff.).
Ernst A. Schmidt
verließ (met. 1,149f.: „caede madentesI [. . .] terras“)· Jetzt trifft Jupiters
Blitz die Giganten (v. 154ff.), und die Erde wird naß vom Blut ihrer
Söhne (v. 157f.: „perfusam [. . .] natorum sanguine Terram / inmadu-
isse“). Wie zuvor der Titanide Prometheus (v. 82) Erde zu Menschen
gebildet hatte, so belebt nun die Erde das heiße Blut der erschlagenen
Giganten und gibt ihm Menschengestalt (v. 158 ff. )· Dem Sohn des Tita-
nen Iapetus als Menschenbildner antwortet Terra als Menschenbildne-
rin, die das Blut ihrer Söhne, der Giganten, formt.
Das enstandene Geschlecht gibt in seiner Verachtung der Götter, Ge-
walttätigkeit und Mordlust zu erkennen, daß es aus Blut geboren ist
(v. 160-162). Das sind weder andere Menschen als die des ersten Schöp-
fungsberichts im Sinn der Menschheit einer späteren Epoche oder eines
anderen Geschlechts, noch liegt hier ein Widerspruch zum ersten Schöp-
fungsbericht vor.34 Die Gigantenblutmenschen lösen das Gebilde des
Prometheus so wenig historisch ab, wie die Transposition eines musika-
lischen Themas in die Dominante die Tonicadurchführung historisch
überholt oder faktisch negiert. Das Wesen des Menschen wird im
Thema der Schöpfung in verschieden gefärbten Kontexten so dekliniert,
daß aus diesen Variationen und Transpositionen ein komplexeres Men-
schenbild sich zusammenfügt. Die Menschheit aus dem Blut frevelnder
Götterverächter ist keine (naturgeschichtliche) Sonderspezies, sondern
eine poetisch-metaphorisch gedeutete Grundmöglichkeit des Men-
schen.
,Blut‘ gab es (nicht historisch, sondern thematisch betrachtet) vor und
in der ersten Schöpfungserzählung noch nicht. Dahin mußte erst die Be-
wegung der Metallalterfolge führen. Für die „aurea aetas“ galt, daß
noch nicht einmal Baum und Erde Verletzung erfuhren.35 Mit der
„aenea proles“ tauchen „horrida [. . .] arma“ auf: „saevior“ ist dies Ge-
schlecht, „non scelerata tamen“ (met. 1,126f.). Das Eiserne Geschlecht
ist dann gezeichnet durch das Einbrechen von „omne nefas“ (v. 128f.).
Eisen und Gold kommen hervor (v. 141 f.). Der Krieg tritt auf - „prodit
34 So jedoch Buchheit (1966), Mythos und Geschichte, S. 103 mit Anm. 5 in einer etwas
widersprüchlichen Argumentation: Ovid sei es nur auf den Gigantenaufruhrund dessen
Niederschlagung angekommen. Er habe „dabei einen gewissen Widerspruch in Kauf“
genommen, „wenn er auch aus dem Blut der Giganten Menschen entstehen“ ließ, wo-
von die übrige Tradition nichts wisse (was Ovid also hier für diese Stelle erfunden haben
muß).
35 Vgl. met. l,94f.: „nondum caesa [. . ./. ..] pinus“ und 101 f.: „nec [...]/ saucia [. . .]
tellus“; die Gegenbilder dazu, Schiffahrt und Pflügen in Silberner und Eiserner Zeit,
werden ohne die Metaphorik der Wunde präsentiert (vgl. met. l,123f. und 132ff.).