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Schmidt, Ernst A.; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1991, 2. Abhandlung): Ovids poetische Menschenwelt: die Metamorphosen als Metapher und Symphonie ; vorgetragen am 3. Juni 1989 — Heidelberg: Winter, 1991

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https://doi.org/10.11588/diglit.48162#0060
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Ernst A. Schmidt

Selbst bei Verwandlungen, die wir versucht sein könnten, Verwandlun-
gen in „Stein“ oder „Wasser“ zu nennen, geht es nicht um ,Elemente1,
sondern um bestimmteste individuellste Form und Wesensidentität.
Niobe wird nicht in „Stein“ verwandelt, sondern in einen bestimmten,
den ,tränenden4 Felsen im Sipylongebirge (met. 6,303-312), die Propoe-
tiden nicht in „Stein“, sondern in besonders harte Kieselsteine (met.
10,238-242). Arethusa wird nicht einfach „Wasser“, sondern die Quelle
Arethusa (met. 5,632 ff.), Acis zum Fluß Acis (met. 13,885-897). Und so
überall: nicht Verwandlung in Tier, nicht einmal in wildes Tier oder
Vogel, sondern in Wolf, in Seeadler und Reiher (Nisus und Ciris, met.
8,145-151), in Frosch und Spinne und Eidechse (met. 6,366-381. 134-
145; 5,453-461), nicht Verwandlung in Baum oder Blume, sondern in
Zypresse und Hyazinthe (met. 10,106ff. 202ff.). Immer bewahrt die
neue Gestalt etwas von der alten Gestalt und ihrer Geschichte: sie ver-
ewigt Wesenskern und Geschick der verwandelten Gestalt.5
Die neue Gestalt, mit der als ewigem bleibendem Resultat die ovidi-
schen Geschichten enden, ist nichts anderes als die Metapher für eben
diese Geschichte und das ihr zugrundeliegende Wesen und Geschick
ihres Helden. Dazu einige Zitate, in denen ich Vorstufen meiner Deu-
tung sehe. Daphne wird ein Lorbeerbaum; denn in ihrer Jungfräulich-
keit war sie schon immer, wie Fränkel sagt6, „like a fine but frigid plant“.
Von Albrecht schreibt7: „Bei der Verwandlung, die stets Ähnliches in
Ähnliches übergehen läßt, werden oft in allegorischer Weise physische
Eigenschaften moralisch umgedeutet (oder umgekehrt): [. . die Liebe
der Frau zum Sonnengott dauert fort in der Sonnenzugewandtheit der
Blume (IV 269 f.), die Grausamkeit des Lycaon verdichtet sich zur blut-
rünstigen Erscheinung des Wolfes (I 238f.).“ Otis8 nennt Zypresse,
Hyazinthe und Anemone „perpetual emblems of grief“; an gleicher
Stelle bezeichnet er Metamorphosen, die gleichsam Strafen für Un-
5 Vgl. Anderson (1963), Multiple Change, S. 4.f.: „The Vocabulary of Continuity“.
6 Fränkel (1945), Ovid, S. 78. Vgl. dort auch S. 84 zu Echo. - Mitten in einer Darstellung
so anderen Ziels und verschiedener Methode, daß kaum eine Verbindung zu meinem
Interesse und Fragen möglich scheint, finde ich bei Barkan (1986), The Gods Made
Flesh, S.25f. zur Verwandlung Lycaons Übereinstimmungen wie die Betonung von
„continuity“, von Metamorphose und Metapher oder: „The artistic effect of metamor-
phosis is to transform human identities into images.“ Ich werde aber, obwohl sich auch
sonst in ChapterTwo: „Ovid and Metamorphosis“ (S. 19-93) Positionen ausmachen las-
sen, die auch ich einnehme, diese nicht weiter dokumentieren; sie stehen in ganz anderen
Zusammenhängen und Argumentationsfolgen.
7 v. Albrecht (1963), Ovids Humor, S. 419.
8 Otis (1970), Conclusion to Ovid, S. 329 und 353.
 
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