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Schmidt, Ernst A.; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1991, 2. Abhandlung): Ovids poetische Menschenwelt: die Metamorphosen als Metapher und Symphonie ; vorgetragen am 3. Juni 1989 — Heidelberg: Winter, 1991

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https://doi.org/10.11588/diglit.48162#0093
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Ovids poetische Menschenwelt

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§ 18 Vorbereitung und Nachwirkung, Verschränkung und Quer-
verbindung. Themenvariation und -Verschiebung
„The closer we look into any group of stories, the more cross-connec-
tions shall we discover, in addition to the pragmatic thread which runs
through the whole sequence. Certain ideas, types, moods, or shades per-
sist for a while and then fade out.“7 Dieser Gedanke Fränkels kehrt, in
Verbindung mit dem Sektionsprinzip, bei Otis wieder8, in dem schon
einmal zitierten Satz: „The division is of course obscured [. . .] by Ovid’s
[. . .] preparation for, or anticipation of, one section by another“ oder in
Formulierungen wie ,Präfiguration eines Motivs1 oder ,Wiederauftau-
chen eines Themas*.9
Meine methodische Korrektur besteht allein in dem Insistieren dar-
auf, daß nicht Sektionen und Bauteile vorbereitet werden und Nachzüg-
ler haben, sondern Themen, und daß nicht nur Ideen, Typen, Stimmun-
gen und Schattierungen nach einer Dominanzphase zurücktreten,
sondern auch Themen. An Fränkels zitierter Äußerung hebe ich zustim-
mend die Terminologie und Metaphorik hervor: „the whole sequence“,
„for a while“, „fade out“.
Um schon hier auch Beispiele zu geben: Der (oder ein) Dominanzbe-
reich des Themas menschlicher Anmaßung und göttlicher Strafe ist si-
cher die Geschichtensequenz in der ersten Hälfte des 6. Buches. Aber
die erste Geschichte von Frevel und Strafe steht in Buch 1: der Frevel
Lycaons und seine Verwandlung in einen Wolf (met. 1,163-243) ist in
den Dominanzbereich des expositorischen Themas gestellt und geht
noch der ersten Liebeserzählung voraus, obwohl als nächstes dominan-
tes Thema das der Liebe von Göttern zu sterblichen Frauen im Werk
folgt. Offenbar wollte Ovid den thematischen Zusammenhang des drit-
ten und ersten Hauptthemas kompositionell betonen. Andererseits ist
auch das Anfangsthema mit dem überraschenden Übergang zum Thema
der Liebesgeschichten in met. 1,452: „Primus amor Phoebi. . .“ nicht
abgeschlossen, und das Liebesthema herrscht von dort an nicht aus-
schließlich in einer größeren Verseinheit. Vielmehr wird die Folge der
Geschichten liebender Götter durch die große Erzählung von Phaethon
und seiner katastrophalen Fahrt mit dem Sonnenwagen unterbrochen

7 Fränkel (1945), Ovid, S. 97.
8 Otis (19702 = 19661), Ovid. S. 84, Anm. 1; vgl. Otis (1970), Conclusion to Ovid, S. 315.
9 Vgl. Otis (1970), Conclusion to Ovid, S. 324 und 316.
 
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