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Berger, Hermann; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1992, 1. Abhandlung): Das Burushaski: Schicksale einer zentralasiatischen Restsprache ; vorgetragen am 12. Januar 1991 — Heidelberg: Winter, 1992

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https://doi.org/10.11588/diglit.48165#0015
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Bei der Betrachtung und Erforschung der Weltgeschichte ist es nur zu
natürlich, daß große und mächtige Völker und Staaten unser Interesse
als erstes beanspruchen, da sie auch in erster Linie die Geschichte der
Menschheit bestimmen, und kleine Gruppen höchstens dann, wenn sie
vorübergehend als Objekt der Mächtigeren und gewissermaßen als ihr
Spiegel ins Blickfeld treten. Anders ist das bei den Sprachen. Gerade
kleine und kleinste Sprachgemeinschaften können auch für den moder-
nen Forscher von größtem Interesse sein, sei es, weil sie den letzten Rest
von einst weitverbreiteten Familien darstellen können, sei es, weil sie in
geographischer Abgeschlossenheit Möglichkeiten der Ausdrucksweise
erprobt haben, die anderswo unter dem selektierenden und nivellieren-
den Einfluß der Hochkulturen verschwunden sind oder gar nicht erst
entstehen konnten. Aus der Redeweise von Stämmen, die heute meist
abgängig von den reichen Völkern in der sog. „Dritten Welt“ ein glanz-
loses Dasein fristen, erfahren wir vielleicht wenig darüber, wer wir selbst
sind, wohl aber sehr viel davon, wer wir einmal waren oder was wir
hätten werden können. Denn seit den Tagen von Wilhelm von Hum-
boldt, der als erster auf fremdartige Sprachen ohne Rücksicht auf Kul-
turhöhe und politische Bedeutung sein wissenschaftliches Interesse rich-
tete und dies noch gegen den Unverstand von Zeitgenossen verteidigen
mußte1, hat sein Gedanke, daß der Bau einer Sprache mit dem, was man
damals noch unbefangen den „Volksgeist“ nennen konnte, zusammen-
hängt, gerade für eine naive, unbelastete Betrachtungsweise nichts an
innerer Überzeugungskraft eingebüßt, wenn auch die moderne Sprach-
wissenschaft sich kaum noch in dieser Richtung engagiert hat.
Eine Sprache, die in diesem Sinne in hohem Maße das sprachwissen-
schaftliche Interesse verdient, ist das in Zentralasien im Karakorum be-
heimatete Burushaski (genauer Burüsaski). Gesprochen in zwei Haupt-
dialekten von etwa 100000 Menschen in den Hochtälern von Hunzu-
Nager und Yasin, hat es sich, umgeben von iranischen, indoarischen,
tibetischen und türkischen Sprachen, seine ausgeprägte Eigenart bis
heute bewahrt. Die Sprecher, die sich selbst Burüso nennen, nehmen
auf den ersten Blick die Aufmerksamkeit der Reisenden in Anspruch.
Von ihren Nachbarn unterscheiden sie sich deutlich durch ihr ausge-
1 Z.B. in seinem Akademievortrag „Über den Dualis“, W. v. Humboldt, Werke in fünf
Bänden III (Darmstadt 1972), p. 115.
 
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