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Jan Assmann
geht. Ihr Geheimnis besteht in ihrer Verborgenheit. Denn die sicht-
bare Wirklichkeit ist differenziert und das heißt polytheistisch.
Einer Religion, die monotheistisch und polytheistisch zugleich
denkt, muß sich die Wirklichkeit in Vordergrund und Hintergrund,
Offenbarkeit und Geheimnis aufteilen.
Hornung ist in seinem Buch Der Eine und die Vielen einer ähnli-
chen Deutung mit folgenden scharfen Worten entgegengetreten.
Das ist großartig perspektivisch gedacht und abendländisch - doch mit
ägyptischem Anschauen und Denken hat es wenig zu tun! Der Ägypter
kennt keine Kulissen und keine Raumtiefe, hinter einem Gott stehen allen-
falls seine Gefolgsleute, und der Grund der Welt mag ihm göttlich sein aber
kein Gott. Es ist faszinierend, das ägyptische Pantheon dreidimensional zu
ordnen und den Einen als Fluchtpunkt zu setzen - aber steht dahinter nicht
das alte apologetische Bemühen, die ägyptischen Götter für uns glaubhafter
zu machen?107
Hornungs Einwand gibt eine vorzügliche Charakteristik des ägypti-
schen Weltbildes vor der Amarnazeit und vermag daher deutlich zu
machen, was alles sich nach Amarna geändert hat. In der Tat, man
kann es nicht treffender formulieren, scheint eine ganze Tiefen-
Dimension dazugekommen. Und wenn Hornung am Ende seines
Werkes sagt, daß er in seiner Untersuchung „stets nur auf die kon-
kreten bekannten Gottheiten des ägyptischen Pantheons, niemals
auf einen Supergott hinter den Göttern gestoßen“ sei108, dann
möchte ich auch dies für meine Untersuchung im positiven Sinn in
Anspruch nehmen. „Supergott“ ist zwar ein unschönes Wort, aber es
trifft genau, was und wen die Texte meinen. Denn die Hymnen ver-
meiden die Namen der bekannten, konkreten Gottheiten. B3 st3
„geheimer Ba“ nennen ihn die ägyptischen Texte, Ύψιστος, „Höch-
ster“ die griechischen. In einem graeco-ägyptischen Zaubertext, der
den höchsten Gott in verschiedenen Sprachen anruft, kommen
neben den Ägyptern und anderen Völkern auch die „ägyptischen
Hohepriester“ mit einer eigenen Anrufung vor:
Ich rufe dich nochmals an
wie die Ägypter: Phno eai labok,
wie die Juden: Adonaie Sabaoth,
wie die Griechen: König, der über alle herrscht,
107 Hornung, Der Eine, 16f.
108 a.a.O., 183.
Jan Assmann
geht. Ihr Geheimnis besteht in ihrer Verborgenheit. Denn die sicht-
bare Wirklichkeit ist differenziert und das heißt polytheistisch.
Einer Religion, die monotheistisch und polytheistisch zugleich
denkt, muß sich die Wirklichkeit in Vordergrund und Hintergrund,
Offenbarkeit und Geheimnis aufteilen.
Hornung ist in seinem Buch Der Eine und die Vielen einer ähnli-
chen Deutung mit folgenden scharfen Worten entgegengetreten.
Das ist großartig perspektivisch gedacht und abendländisch - doch mit
ägyptischem Anschauen und Denken hat es wenig zu tun! Der Ägypter
kennt keine Kulissen und keine Raumtiefe, hinter einem Gott stehen allen-
falls seine Gefolgsleute, und der Grund der Welt mag ihm göttlich sein aber
kein Gott. Es ist faszinierend, das ägyptische Pantheon dreidimensional zu
ordnen und den Einen als Fluchtpunkt zu setzen - aber steht dahinter nicht
das alte apologetische Bemühen, die ägyptischen Götter für uns glaubhafter
zu machen?107
Hornungs Einwand gibt eine vorzügliche Charakteristik des ägypti-
schen Weltbildes vor der Amarnazeit und vermag daher deutlich zu
machen, was alles sich nach Amarna geändert hat. In der Tat, man
kann es nicht treffender formulieren, scheint eine ganze Tiefen-
Dimension dazugekommen. Und wenn Hornung am Ende seines
Werkes sagt, daß er in seiner Untersuchung „stets nur auf die kon-
kreten bekannten Gottheiten des ägyptischen Pantheons, niemals
auf einen Supergott hinter den Göttern gestoßen“ sei108, dann
möchte ich auch dies für meine Untersuchung im positiven Sinn in
Anspruch nehmen. „Supergott“ ist zwar ein unschönes Wort, aber es
trifft genau, was und wen die Texte meinen. Denn die Hymnen ver-
meiden die Namen der bekannten, konkreten Gottheiten. B3 st3
„geheimer Ba“ nennen ihn die ägyptischen Texte, Ύψιστος, „Höch-
ster“ die griechischen. In einem graeco-ägyptischen Zaubertext, der
den höchsten Gott in verschiedenen Sprachen anruft, kommen
neben den Ägyptern und anderen Völkern auch die „ägyptischen
Hohepriester“ mit einer eigenen Anrufung vor:
Ich rufe dich nochmals an
wie die Ägypter: Phno eai labok,
wie die Juden: Adonaie Sabaoth,
wie die Griechen: König, der über alle herrscht,
107 Hornung, Der Eine, 16f.
108 a.a.O., 183.