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Schluchter, Wolfgang; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1994, 2. Abhandlung): Individuelle Freiheit und soziale Bindung: vom Nutzen und Nachteil der Institutionen für den Menschen; vorgetragen am 16. Januar 1993 — Heidelberg: Winter, 1994

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https://doi.org/10.11588/diglit.48171#0028
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Wolfgang Schluchter

bezieht seinen Selbstwert aus der Distanz zur Herde, zu den Viel-
zu-Vielen, Webers Individualismus aus dem Wissen, daß der
eigene Weg im Lichte wertvoller Alternativen gewählt werden muß
und deshalb mit Opfern verbunden ist.39 40 Es ist ein Wissen um
unvermeidliche Wertekollisionen, die durch opportunistische
Wertebefolgung zwar verdeckt, aber nicht beseitigt werden kön-
nen. Solche Kollisionen können auch zwischen der sozialen Bin-
dung an Institutionen und der individuellen Freiheit der Person
entstehen. Das gilt selbst dann, wenn der Einzelne sich in einem
institutionellen Rahmen bewegt, dessen erklärter Zweck es ist, die
individuelle Freiheit zu schützen. Auch dann sind soziale Bindung
und individuelle Freiheit nicht versöhnt. Kollisionen können des-
halb nicht aufgehoben, sie können nur ausgehalten und ausge-
kämpft werden. Dieses Wissen prägt Webers gesamtes Werk. Las-
sen Sie mich mit einem Zitat schließen, das dies besonders klar
ausdrückt und das zugleich auch etwas vom normativen Sinn von
Webers Persönlichkeitstheorie, seiner Antwort auf die Frage, was
der Mensch sei, preisgibt: „Die aller menschlichen Bequemlichkeit
unwillkommene, aber unvermeidliche Frucht vom Baum der
Erkenntnis ist gar keine andere als eben die: um jene Gegensätze
wissen und also sehen zu müssen, daß jede einzelne wichtige
Handlung und daß vollends das Leben als Ganzes, wenn es nicht
wie ein Naturereignis dahingleiten, sondern bewußt geführt wer-
den soll, eine Kette letzter Entscheidungen bedeutet, durch welche
die Seele, wie bei Platon, ihr eigenes Schicksal: - den Sinn ihres
Tuns und Seins heißt das - wählt

39 Dazu ausführlicher Wolfgang Schluchter, Einleitung in: Max Weber, Wissen-
schaft als Beruf 1917/1919, Politik als Beruf 1919, Max Weber-Gesamtausgabe
1/17, Tübingen 1992, S. 1-46.
40 Weber, Wissenschaftslehre, S. 507f.
 
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