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Fuhrmann, Manfred; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Editor]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1994, 4. Abhandlung): Alexander von Roes - ein Wegbereiter des Europagedankens?: vorgetragen am 16. Februar 1991 — Heidelberg: Winter, 1994

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https://doi.org/10.11588/diglit.48173#0023
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Alexander von Roes

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des Termins des Osterfestes mit dem einheimischen merowingi-
schen Klerus in Streit: er feierte das Fest eine Woche früher als
seine Umgebung. So wandte er sich an den Papst, an Gregor den
Großen als an eine über den Parteien stehende Autorität: Domino
sancto et in Christo patri, Romanae pulcherrimo ecclesiae decori, to-
tius Europae flaccentis augustissimo quasi cuidam flori... in Christo
mitto salutem - „Dem ehrwürdigen Herrn und Vater in Christus,
der herrlichsten Zier der römischen Kirche, ganz Europas, des dar-
niederliegenden, erhabenster, wenn ich so sagen darf, Blume ...
entbiete ich in Christus meinen Gruß.“44 Die prätentiöse Anrede
soll wohl dem Adressaten nicht nur schmeicheln, sondern auch an
ihn appellieren und ihn an seine Verantwortung als streitentschei-
dende Instanz erinnern. Ein späteres Schreiben Columbans hin-
gegen (es ist an Papst Bonifaz IV. gerichtet) will offenbar nur noch
rühmen: Pulcherrimo omnium totius Europae ecclesiarum capiti -
„Dem herrlichsten Oberhaupt aller Kirchen in ganz Europa.“45
Columbans Briefe enthalten einen Europa-Begriff, der sowohl
über die Leidensgemeinschaft des zusammenbrechenden Römer-
reiches als auch über die Resonanz des Ruhmes von Heiligen hin-
ausging: sie verwenden ihn in kirchenpolitischer Absicht als
zusammenfassende Bezeichnung für den neuen Kulturraum der
lateinischen Christenheit. Sie haben indes hiermit kaum Schule
gemacht. Die römische Kurie bediente sich einer der Antike ver-
pflichteten umfassenderen Terminologie, d. h. sie griff auf For-
meln wie mundus universus, orbis terrarum, oriens - occidens u. a.
zurück. Ein einziges Mal berief sich ein Papst des frühen Mittel-
alters - es war Leo IV. - auf Europa. Er trug im Jahre 853 mit dem
Patriarchen von Konstantinopel einen Rangstreit aus. Der
Patriarch hatte ihm einen Umhang übersandt; Leo deutete die
Gabe als Bestätigung, die ihm ein Ranggleicher oder Ranghöherer
zuteil werden lasse, und wies sie mit den Worten zurück: „Das
Pallium konnte von uns nicht entgegengenommen werden, weil es
nicht üblich ist, daß diese Kirche, die doch die Lehrmeisterin und
das Haupt aller Kirchen zu sein scheint, ein von anderer Seite
geschenktes Pallium annimmt, weil vielmehr sie es in ganz Europa
einem jeden, dem es zugedacht ist, zu verleihen pflegt.“46 Der
44 MGH, Ep. Bd. 3, Epistolae Merowingici et Karolini aevi, ed. W. Gundlach, E.
Dümmler et alii, Berlin 1892, p. 156.
45 Ebendort (Anm. 44), p. 170.
46 MGH, Ep. Bd. 5, Epistolae Karolini aevi 3, ed. E. Dümmler, K. Hampe et alii,
Berlin 1899, p. 607.
 
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