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Manfred Fuhrmann
versität, das studium der Franzosen, auf Karl den Großen zurück
und schlägt auch sonst nichts vor, was er nicht für vorgegeben hält
- Gott möge secundum suam voluntatem regnum et sacerdotium
reformare, heißt es nicht von ungefähr am Schluß des Memoriale. In
der Sache aber enthalten Alexanders Schriften einen Appell; sie
führen eine Struktur vor, die sie als Programm betrachtet wissen
wollen, und eben deshalb gehören sie zu den frühesten Zeugen
einer neuen Epoche des Europagedankens. Daß sie hierbei auch
den Namen Europa für das die Teile umgreifende Ganze verwen-
den, macht ihr Zeugnis doppelt wertvoll: Alexander ist wohl des-
halb auf diese für seine Zeit ungewöhnliche Bezeichnung verfal-
len, weil er sie für neutral hielt, weil sie keinem der drei von ihm
unterschiedenen Bereiche einen Vorrang einzuräumen schien.
5
Die Schriften Alexanders repräsentieren auch deshalb eine
neue Phase in der Geschichte des Europagedankens, weil sie mit
einer Vielfalt rechnen, deren Einheit zum Problem geworden ist.
Die antiken und frühmittelalterlichen Zeugnisse bedienen sich des
Europa-Namens als einer schlechtweg zusammenfassenden Kate-
gorie; auch wenn Teile genannt werden, Länder oder Völker,
erscheint das größere Ganze als fraglos und ungefährdet.74 Der
antik-frühmittelaterliche Europagedanke setzte voraus, daß sich
die Teile bei aller Verschiedenheit als zusammengehörig wußten;
es bestand ein spannungsloses Verhältnis zum übergeordneten
Gemeinsamen. Man mag diesen Typus des Europagedankens als
monistisch bezeichnen: das einende Ganze war gegeben und
brauchte nicht auf Kosten der Teile erstrebt zu werden.
Mit den Schriften Alexanders indessen setzte eine Entwicklung
ein, die im Laufe der Jahrhunderte ein weniger problemloses
Europabild zeitigte, ein Bild, das zunächst das die Völker Tren-
nende, vor allem ihre wechselseitige politische Unabhängigkeit, zu
berücksichtigen hatte und gleichwohl eine Art von Einheit vor
Augen führen sollte. Die Teile und das Ganze, das Machtstreben
der einzelnen Staaten und das Postulat des innereuropäischen
74 S. z. B. das Europa-Enkomion des römischen Lehrdichters Manilius, o. S. 16,
oder den Kommentar des anonymen Chronisten der Schlacht von Poitiers, o.
S. 19.
Manfred Fuhrmann
versität, das studium der Franzosen, auf Karl den Großen zurück
und schlägt auch sonst nichts vor, was er nicht für vorgegeben hält
- Gott möge secundum suam voluntatem regnum et sacerdotium
reformare, heißt es nicht von ungefähr am Schluß des Memoriale. In
der Sache aber enthalten Alexanders Schriften einen Appell; sie
führen eine Struktur vor, die sie als Programm betrachtet wissen
wollen, und eben deshalb gehören sie zu den frühesten Zeugen
einer neuen Epoche des Europagedankens. Daß sie hierbei auch
den Namen Europa für das die Teile umgreifende Ganze verwen-
den, macht ihr Zeugnis doppelt wertvoll: Alexander ist wohl des-
halb auf diese für seine Zeit ungewöhnliche Bezeichnung verfal-
len, weil er sie für neutral hielt, weil sie keinem der drei von ihm
unterschiedenen Bereiche einen Vorrang einzuräumen schien.
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Die Schriften Alexanders repräsentieren auch deshalb eine
neue Phase in der Geschichte des Europagedankens, weil sie mit
einer Vielfalt rechnen, deren Einheit zum Problem geworden ist.
Die antiken und frühmittelalterlichen Zeugnisse bedienen sich des
Europa-Namens als einer schlechtweg zusammenfassenden Kate-
gorie; auch wenn Teile genannt werden, Länder oder Völker,
erscheint das größere Ganze als fraglos und ungefährdet.74 Der
antik-frühmittelaterliche Europagedanke setzte voraus, daß sich
die Teile bei aller Verschiedenheit als zusammengehörig wußten;
es bestand ein spannungsloses Verhältnis zum übergeordneten
Gemeinsamen. Man mag diesen Typus des Europagedankens als
monistisch bezeichnen: das einende Ganze war gegeben und
brauchte nicht auf Kosten der Teile erstrebt zu werden.
Mit den Schriften Alexanders indessen setzte eine Entwicklung
ein, die im Laufe der Jahrhunderte ein weniger problemloses
Europabild zeitigte, ein Bild, das zunächst das die Völker Tren-
nende, vor allem ihre wechselseitige politische Unabhängigkeit, zu
berücksichtigen hatte und gleichwohl eine Art von Einheit vor
Augen führen sollte. Die Teile und das Ganze, das Machtstreben
der einzelnen Staaten und das Postulat des innereuropäischen
74 S. z. B. das Europa-Enkomion des römischen Lehrdichters Manilius, o. S. 16,
oder den Kommentar des anonymen Chronisten der Schlacht von Poitiers, o.
S. 19.