Alexander von Roes
37
ner Schrift De recuperatione terre sancte - Über die Wiedergewinnung
des Heiligen Landes vom Jahre 1305 mit einem überaus kühnen, das
moderne System gleichberechtigter Nationalstaaten vorbereiten-
den Entwürfe auf. Er wollte nur noch die Kirche als übernationale
Institution monarchischen Gepräges gelten lassen; an die Stelle
des Reiches jedoch als hegemonialer Macht sollte ein europäischer
Staatenverein treten, der in einer Art Konzil die weltlichen
Geschicke der Gliedstaaten bestimme.80 Dantes Schrift De monar-
chia hingegen, entstanden um das Jahr 1310, ist von stärker konser-
vativem Charakter: sie propagiert die Wiederherstellung des uni-
versalen Kaisertums und blickt insoweit in die Vergangenheit
zurück. Zugleich aber fordert sie (und hiermit kündet sie Neues)
eine scharfe Trennung der Sphären der Kirche und des Reiches.
Der Papst, meint Dante, habe die Aufgabe, die Menschheit auf
Grund der christlichen Offenbarung zum ewigen Leben zu führen;
dem Kaiser wiederum obliege es, mit Hilfe des Rechts der Verwirk-
lichung des zeitlichen Glücks zu dienen.81
Es vergingen anderthalb Jahrhunderte, bis weitere Europa-
Appelle und Europa-Programme lanciert wurden, bis endlich auch
der Name Europas - nunmehr als Bezeichnung für ein Ganzes, das
viele Nationen umfaßte - zu allgemeiner, von jetzt an nicht mehr
verblassender Geltung gelangte. Das epochale, auch für den neuen
Europagedanken bestimmende Ereignis war die äußere Bedrohung
durch die Türken, war insbesondere der Fall von Konstantinopel
im Jahre 1453. Der Mann aber, der diesen Europagedanken hervor-
brachte und in seinen Schriften zu verbreiten nicht müde wurde,
war Enea Silvio Piccolomini, als Papst Pius II. genannt.
Nicht als ob bei Enea Silvio stets ‘Europa’ hieße, was bisher
‘Christenheit’, ‘Kirche’ oder sonstwie genannt worden war. Die über-
kommenen Kategorien vermochten sich noch lange zu behaupten.
Der böhmische König Georg von Podebrad, ein Zeitgenosse des
Enea Silvio, ließ sich ebenfalls durch die Türkengefahr inspirieren:
er rief, dieser Gefahr zu begegnen, zu einem Staatenbund auf. Der
Europa-Name kommt indes in seinem Plane nicht vor; die über-
geordnete Größe, auf die er sich beruft, heißt stets Christianitas.82
80 Text: De recuperatione terre sancte, ed. Ch.-V. Langlois, Paris 1891. S. hierzu H.
Kämpf, Pierre Dubois und die Grundlagen des französischen Nationalbewußtseins
um 1300, Leipzig - Berlin 1935, ferner Fritzemeyer, a.a.O. (Anm. 75), S. lOf.
81 De monarchia 3,10 und 16. S. hierzu Foerster, a.a.O. (Anm. 1), S. 48ff.
82 S. o. Anm. 2.
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ner Schrift De recuperatione terre sancte - Über die Wiedergewinnung
des Heiligen Landes vom Jahre 1305 mit einem überaus kühnen, das
moderne System gleichberechtigter Nationalstaaten vorbereiten-
den Entwürfe auf. Er wollte nur noch die Kirche als übernationale
Institution monarchischen Gepräges gelten lassen; an die Stelle
des Reiches jedoch als hegemonialer Macht sollte ein europäischer
Staatenverein treten, der in einer Art Konzil die weltlichen
Geschicke der Gliedstaaten bestimme.80 Dantes Schrift De monar-
chia hingegen, entstanden um das Jahr 1310, ist von stärker konser-
vativem Charakter: sie propagiert die Wiederherstellung des uni-
versalen Kaisertums und blickt insoweit in die Vergangenheit
zurück. Zugleich aber fordert sie (und hiermit kündet sie Neues)
eine scharfe Trennung der Sphären der Kirche und des Reiches.
Der Papst, meint Dante, habe die Aufgabe, die Menschheit auf
Grund der christlichen Offenbarung zum ewigen Leben zu führen;
dem Kaiser wiederum obliege es, mit Hilfe des Rechts der Verwirk-
lichung des zeitlichen Glücks zu dienen.81
Es vergingen anderthalb Jahrhunderte, bis weitere Europa-
Appelle und Europa-Programme lanciert wurden, bis endlich auch
der Name Europas - nunmehr als Bezeichnung für ein Ganzes, das
viele Nationen umfaßte - zu allgemeiner, von jetzt an nicht mehr
verblassender Geltung gelangte. Das epochale, auch für den neuen
Europagedanken bestimmende Ereignis war die äußere Bedrohung
durch die Türken, war insbesondere der Fall von Konstantinopel
im Jahre 1453. Der Mann aber, der diesen Europagedanken hervor-
brachte und in seinen Schriften zu verbreiten nicht müde wurde,
war Enea Silvio Piccolomini, als Papst Pius II. genannt.
Nicht als ob bei Enea Silvio stets ‘Europa’ hieße, was bisher
‘Christenheit’, ‘Kirche’ oder sonstwie genannt worden war. Die über-
kommenen Kategorien vermochten sich noch lange zu behaupten.
Der böhmische König Georg von Podebrad, ein Zeitgenosse des
Enea Silvio, ließ sich ebenfalls durch die Türkengefahr inspirieren:
er rief, dieser Gefahr zu begegnen, zu einem Staatenbund auf. Der
Europa-Name kommt indes in seinem Plane nicht vor; die über-
geordnete Größe, auf die er sich beruft, heißt stets Christianitas.82
80 Text: De recuperatione terre sancte, ed. Ch.-V. Langlois, Paris 1891. S. hierzu H.
Kämpf, Pierre Dubois und die Grundlagen des französischen Nationalbewußtseins
um 1300, Leipzig - Berlin 1935, ferner Fritzemeyer, a.a.O. (Anm. 75), S. lOf.
81 De monarchia 3,10 und 16. S. hierzu Foerster, a.a.O. (Anm. 1), S. 48ff.
82 S. o. Anm. 2.