Vom gesunden Menschenverstand
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Vorstellung, daß das niemals zur Ruhe kommende Erkenntnis-
streben die gestaltende Kraft sittlichen Lebens sei. Wissenschaft-
licher Forschung war diese Philosophie anfänglich durchaus abge-
neigt, was auch auf die Schulen der sog. Kleinen Sokratiker des spä-
ten 4. Jh. v.C. zutrifft52 53. Die Beschränkung auf die Lebenskunst,
die dem Einzelnen vermittelt werden sollte, bedingte ferner eine
dogmatische Fixierung der jeweiligen Schulphilosophie und ihre
Abgrenzung sowohl gegenüber konkurrierenden Schulen, als auch
gegenüber allen populären Anschauungen. Mit drastischen Bil-
dern illustrieren die Stoiker den unüberbrückbaren Gegensatz
zwischen dem Weisen, der Idealgestalt ihrer Philosophie, und den
vielen Toren, den gewöhnlichen, von ungeprüften Meinungen be-
herrschten Menschen33. Ebenso konnten sich die Anhänger Epi-
kurs nicht genug daran tun, ihren Meister dafür zu preisen, daß
seine Lehre erstmals ein menschenwürdiges Leben ermöglicht
habe54. Der Grundsatz der Naturgemäßheit des rechten Handelns
verbot im Rahmen einer solchen Philosophie auch die Unterschei-
dung zwischen theoretischer und praktischer Vernunft. Die rechte,
im Schuldogma fixierte, theoretische Naturerkenntnis sollte ja das
praktische Handeln ganz unmittelbar bestimmen55.
52 Zu Platon vgl. o. Anm. 36 u. 39. Zur anfänglichen Wissenschaftsfeindlichkeit
der hellenistischen Philosophie und der sog. Kleinen Sokratiker vgl. A. Dihle,
o. Anm. 41, 188: Wer sich den Wissenschaften zuwendet statt der Philosophie,
gleicht den Freiern der Odyssee, die sich mit den Mägden abgaben, statt Pene-
lope den Hof zu machen (Aristipp. fr. 23 Mannebach). In der Schule des Aristo-
teles hielt das wissenschaftliche Interesse noch lange an, weshalb das Wort
„Peripatetiker“ im hellenistischen Griechisch oft nur einen wissenschaftlich
interessierten Literaten bezeichnet, der nicht unbedingt ein Philosoph zu sein
braucht.
53 SVF 3, 657 ff.
54 Besonders eindrucksvoll Lucretius 1,62 ff.
55 Epikureer und Stoiker machten keinen grundsätzlichen Unterschied zwischen
praktischer und theoretischer Intelligenz. Zwar begegnet sophia in stoischen
Texten häufiger dort, wo von Einsicht in die Weltordnung u. dgl. die Rede ist,
während phronesis eher im Zusammenhang des rechten, vernunftgelenkten
Handelns gebraucht wird. Hierin wirkt die von Aristoteles eingeführte termi-
nologische Unterscheidung nach. Dessenungeachtet aber ist für den Stoiker
gerade die sophia die Summe aller das Handeln bestimmenden Tugenden
(SVF 2,117; 3,11; vgl. Poseid. fr. 161; 182 Edelstein/Kidd). Die Peripatetiker
hielten an der von Aristoteles getroffenen Unterscheidung fest (Stob. Anth. 2
p. 117; 145 Wachsmuth/Hense), und von den Platonikern wurde sie bei der
Ausformung ihrer Dogmatik im 1. Jh. v. C. übernommen (Ps. Plat. Def. 411 D;
414 B; Apuleius, De dogm. Plat. 2,4).
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Vorstellung, daß das niemals zur Ruhe kommende Erkenntnis-
streben die gestaltende Kraft sittlichen Lebens sei. Wissenschaft-
licher Forschung war diese Philosophie anfänglich durchaus abge-
neigt, was auch auf die Schulen der sog. Kleinen Sokratiker des spä-
ten 4. Jh. v.C. zutrifft52 53. Die Beschränkung auf die Lebenskunst,
die dem Einzelnen vermittelt werden sollte, bedingte ferner eine
dogmatische Fixierung der jeweiligen Schulphilosophie und ihre
Abgrenzung sowohl gegenüber konkurrierenden Schulen, als auch
gegenüber allen populären Anschauungen. Mit drastischen Bil-
dern illustrieren die Stoiker den unüberbrückbaren Gegensatz
zwischen dem Weisen, der Idealgestalt ihrer Philosophie, und den
vielen Toren, den gewöhnlichen, von ungeprüften Meinungen be-
herrschten Menschen33. Ebenso konnten sich die Anhänger Epi-
kurs nicht genug daran tun, ihren Meister dafür zu preisen, daß
seine Lehre erstmals ein menschenwürdiges Leben ermöglicht
habe54. Der Grundsatz der Naturgemäßheit des rechten Handelns
verbot im Rahmen einer solchen Philosophie auch die Unterschei-
dung zwischen theoretischer und praktischer Vernunft. Die rechte,
im Schuldogma fixierte, theoretische Naturerkenntnis sollte ja das
praktische Handeln ganz unmittelbar bestimmen55.
52 Zu Platon vgl. o. Anm. 36 u. 39. Zur anfänglichen Wissenschaftsfeindlichkeit
der hellenistischen Philosophie und der sog. Kleinen Sokratiker vgl. A. Dihle,
o. Anm. 41, 188: Wer sich den Wissenschaften zuwendet statt der Philosophie,
gleicht den Freiern der Odyssee, die sich mit den Mägden abgaben, statt Pene-
lope den Hof zu machen (Aristipp. fr. 23 Mannebach). In der Schule des Aristo-
teles hielt das wissenschaftliche Interesse noch lange an, weshalb das Wort
„Peripatetiker“ im hellenistischen Griechisch oft nur einen wissenschaftlich
interessierten Literaten bezeichnet, der nicht unbedingt ein Philosoph zu sein
braucht.
53 SVF 3, 657 ff.
54 Besonders eindrucksvoll Lucretius 1,62 ff.
55 Epikureer und Stoiker machten keinen grundsätzlichen Unterschied zwischen
praktischer und theoretischer Intelligenz. Zwar begegnet sophia in stoischen
Texten häufiger dort, wo von Einsicht in die Weltordnung u. dgl. die Rede ist,
während phronesis eher im Zusammenhang des rechten, vernunftgelenkten
Handelns gebraucht wird. Hierin wirkt die von Aristoteles eingeführte termi-
nologische Unterscheidung nach. Dessenungeachtet aber ist für den Stoiker
gerade die sophia die Summe aller das Handeln bestimmenden Tugenden
(SVF 2,117; 3,11; vgl. Poseid. fr. 161; 182 Edelstein/Kidd). Die Peripatetiker
hielten an der von Aristoteles getroffenen Unterscheidung fest (Stob. Anth. 2
p. 117; 145 Wachsmuth/Hense), und von den Platonikern wurde sie bei der
Ausformung ihrer Dogmatik im 1. Jh. v. C. übernommen (Ps. Plat. Def. 411 D;
414 B; Apuleius, De dogm. Plat. 2,4).