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Heckel, Martin; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1995, 3. Abhandlung): Die deutsche Einheit als Verfassungsfrage: wo war das Volk? ; vorgetragen am 11. Februar 1995 — Heidelberg: Univ.-Verl. Winter, 1995

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https://doi.org/10.11588/diglit.48183#0023
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Die deutsche Einheit als Verfassungsfrage

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rechtliches Endergebnis kann nur dann als demokratisch legitim erach-
tet werden, wenn sie realiter - und nicht nur in der Deklamation der
Präambel - auf die Verfassunggebende Gewalt des Volkes gegründet
wird. Die Gretchenfrage „Wie hältst Du‘s mit dem Volk?“10 wird in der
Tat zu Recht gestellt.
b) Aber darauf mit der Forderung nach einer Volksabstimmung zu
antworten und dies gleichsam zur Religionsfrage zu erheben, mutet pha-
risäisch an. Ein neuerlicher Akt der Verfassunggebenden Gewalt war
hier in Westdeutschland zur Schaffung der deutschen Einheit nicht er-
forderlich, ja fehl am Platze, da diese Entscheidung vom Verfassungge-
ber durch den Wiedervereinigungsauftrag bereits vor 40 Jahren bei Er-
laß des Grundgesetzes getroffen worden war und seitdem fortbestand17!
Wer jetzt einen neuen Akt der Verfassungsgebenden Gewalt zur Kon-
stituierung und Legitimierung der deutschen Einheit für unumgänglich
hält, offenbart damit, daß er den Osten in der Zwischenzeit politisch und
verfassungsrechtlich aufgegeben und insoweit den Boden des Grund-
gesetzes verlassen hat. Aus dem Gedächtnis des Volkes ist noch nicht
entschwunden, daß die parlamentarische und außerparlamentarische
Linke das Wiedervereinigungsgebot der Verfassung mehr oder minder
dezidiert und deutlich aufgekündigt, ja als die „Lebenslüge der Nation“
betitelt hat18, - daß sie die gesamtdeutsche Staatsbürgerschaft aufheben
wollte, die kurz darauf die brisante Überschreitung der Grenzen und
Normen des DDR-Systems auslöste und damit die Revolution ins Rol-
len brachte, - daß sie den Verzicht auf die Einheit der deutschen Nation
(zu Lasten der Ostdeutschen) als Deutschlands „Opfer“ für den
„Frieden der Welt“ und als „Buße“ für das Unrecht in der braunen Dik-
tatur einforderte, - daß sie die völkerrechtliche Anerkennung der DDR
und des „realexistierenden sozialistischen“ Regimes verlangte, bis dann
zu ihrem Staunen das Volk im Osten aufstand und das peinlich aufge-
wertete Unterdrückungssystem abschüttelte. - Indessen war der Wie-
dervereinigungsauftrag im Grundgesetz bestehen geblieben; das Ver-
16 So Wahl (N 7), S. 481, auch 473 ff.
1' Dietrich Murswiek, Das Staatsziel der Einheit Deutschlands nach 40 Jahren Grundge-
setz, München 1989, S. 9 ff., 14 ff., 17 ff., 39 ff.; Reinhard A/u/ig/mg, Zustandekommen
des Grundgesetzes und Entstehen der Bundesrepublik Deutschland, in: EIStR Bd. I,
Heidelberg 1987, § 6 Rn. 27 ff.; Rudolf Bernhardt, Die deutsche Teilung und der Sta-
tus Gesamtdeutschlands, in: HStR Bd. I, § 8 Rn. 36 ff.; Georg Ress, Grundlagen und
Entwicklung der innerdeutschen Beziehungen, in: HStR Bd. I, § 11 Rn. 55 ff.
18 Vgl. die Blütenlese entlarvender Zitate von Willy Brandt, Egon Bahr, Jürgen Schmu-
de, Horst Ehmke, Gerhard Schröder bei Murswiek (N 17), S. 9 Anm. 3-7, S. 30 Anm.
40-42, S. 39 Anm. 80.
 
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